Ab 1895 schuf Józef Mehoffer, ein junger unbekannter Künstler für die Kathedrale St. Nikolaus in Freiburg neue Kirchenfenster, die sich mit der gotischen Architektur gut vertragen sollten. Er ging als Sieger aus einem international ausgeschriebenen Wettbewerb hervor. Sein erstes Fenster, mit dem am Wettbewerb teilgenommen hatte, war das so genannte Apostelfenster.

Martin Thurnherr, Public domain, via Wikimedia Commons
Im Apostelfenster stellt Mehoffer die vier Apostel Petrus, Johannes, Jakobus und Andreas dar. Anders als gotische Nischenfiguren zeigt Mehoffer die Heiligen in Bewegung und mit starker Gefühlsäusserung. In der unteren Zone kennzeichnet ein Attribut oder typisches Symbol den Heiligen: der Schlüssel identifiziert Petrus, der Adler steht für den Evangelisten Johannes, Hermogenes als Dämon erinnert an die Legenda aurea, wonach Hermogenes den predigenden Jakobus vor den Juden unglaubwürdig machen wollte, was ihm aber nicht gelang. Die Worte «O BONA CRUX» erinnern an die Vision, die Andreas hatte, als er aus dem Gefängnis entlassen wurde (seine ärmliche Kleidung) und voraussah, dass er den Leidensweg seines Herrn zu erdulden hatte.
1. Das Apostelfenster
2. Das Fenster Unserer Lieben Frau vom Siege
Schnell nach dem ersten Fenster bekam Mehoffer einen weiteren Auftrag von Freiburg. Er sollte alle Fenster in den Seitenschiffkapelle gestalten. Nach dem Apostelfenster folgte das Fenster Unserer Lieben Frau vom Siege.

Martin Thurnherr, Public domain, via Wikimedia CommonsIn Erinnerung an die Konfessionskriege der Alten Eidgenossen verherrlicht dieses Fenster den Sieg der Eidgenossen und ihrer freiburgischen Verbündeten über Karl den Kühnen in der Schlacht bei Murten 1476. Mehoffer inszeniert das Ereignis als Bild, das alle vier Fensterbahnen umfasst. Die rechts erscheinenden Krieger sind mit ihren Waffen und Rüstungen als alte Eidgenossen gekennzeichnet. Sie legen im Schutz des Erzengels Michael die Fahnen des Burgunderheeres zu Füßen Mariens nieder. In der vordersten Linie erhebt ein Krieger mit weissem Bart sein Schwert als Zeichen des Sieges zu Maria empor und jauchzt vor Freude. Eine Engelsglorie umrahmt die würdig-steife Madonna in ihrem Prunkgewand, während die Engel lebhaft wirken. Unter ihr überreicht die ebenso prächtig gekleidete, als Rückenfigur dargestellte Allegorie der Helvetia (Patria) zwei freiburgische Honorationen den Lorbeerkranz. In den Scheiben der Kopfzone sind die allegorischen Figuren der Hoffnung, Glaube, Stärke und Liebe wiedergegeben. Dieses Fenster wurde vom Staat in Auftrag gegeben. Deshalb sind die beiden Honoratioren, von denen einer das Freiburger Wappen hält, neuzeitlich gekleidet. Damit schafft das Glasgemälde einen Bezug zur Gegenwart. Zwar werden die Heldentaten der Ahnen, wie sie der moderne Nationalstaat zu Mythen geformt hat, glorifiziert, aber sie sind im freiburgisch-katholischen Sinn religiös überhöht. Denn das Bild suggeriert dem Betrachter, die Eidgenossen hätten sich bereits 1476 offiziell ebenso unter den Schutz Mariens gestellt wie die Freiburger um 1650, als sie die Kapelle Unserer Lieben Frau vom Sieg stifteten. Damit demonstriert der Freiburger Staat seine Vorbehalte gegenüber dem aufklärerisch-liberal geprägten Bundesstaat.
3. Das Märtyrerfenster

Das Bleiglasfenster enthält in jeder der vier lanzettenförmigen Bahnen eine Heiligenfigur. Es sind von links nach rechts Mauritius, Sebastian, Katharina und Barbara, die alle das Martyrium erlitten haben. In den Kopfscheiben erscheint je ein Paar jugendlicher Figuren, die allegorisch als Unschuld der Märtyrer zu verstehen sind.
In den mittleren Feldern stehen die Heiligen in teilweise bewegter Gestik und deuten mit ihren Attributen die Geschichte ihres Martyriums an. Über Mauritius, Sebastian und Katharina schweben lichte Gestalten von Engeln und Seelen von Verstorbenen. Tiefschwarze Krähen fliegen vorbei. Damit deutet Mehoffer augenfällig den Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen an. Mit dem großen Turm hinter Barbara erweist Mehoffer seiner Heimat Referenz: Er stellt den Schreiner-Turm in Krakau dar.
Besonders aufregend sind die Bilder der untersten Zeile. Sie stellen das Sterben der Märtyrer auf unglaubliche Art dar. Alle vier Heiligen, in vollkommener Nacktheit auf weisses Glas gemalt, sind im Moment ihres Todeskampfes ins Bild gesetzt: Mauritius, dem ein Schwert den Hals durchschneidet, ergießt sich rotes Blut über seine Brust; Sebastian, von Pfeilen durchbohrt, was ebenfalls zu strömendem Blut über seiner sich aufbäumenden Brust führt; Katharina, kopfüber vom Rad mit unverhülltem Busen zu Boden stürzend und Barbara, die seitwärts mit angezogenen Beinem am Boden liegt. Jede der heiligen Gestalten wird von einer weiblichen Klagefigur begleitet, die sich bei den männlichen Protagonisten besonders eng und liebevoll an den Märtyrer schmiegt, sich über ihn beugt beziehungsweise bezüglich Mauritius dessen Oberkörper mit beiden Händen umfasst. Die unterschwellige Erotik dieser Bilder ist unübersehbar, was zu heissen Diskussionen in der Öffentlichkeit geführt hat.
Das Fenster ist gänzlich dem Jungenstil verpflichtet. Dieser schöpft seine Inspiration aus den Formen der Pflanzen- und Tierwelt. Die Figuren sind oft stilisiert, um sich einer aus wellenförmigen Linien bestehenden Formensprache zu bedienen. Die Welt der Blumen ist dominant. In goldener Farbe breitet sie sich zwischen dem mittleren und unteren Teil des Fensters aus. Hinzu kommen fantasievolle, farbenfrohe Blumen, die Schmetterlingen gleichen oder deren Blütenblätter wie Lippen aussehen. Nebst den Blütenformen sind auch die Farben symbolisch. Der Blumenteppich, auf dem die Körper der Märtyrer liegen, steht für die segensreiche Saat des Christentums. Rot und Violett drücken Tod und Trauer aus. Mehoffer hat in diesem Werk die ganze Palette ausgenützt, indem er den kräftigsten Farben die sanftesten Töne gegenüberstellt. Trotz dieser Spannungen bleibt die Einheit des Ganzen erhalten.
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Das Eucharistiefenster

Nach dem Apostelfenster entwarf Mehoffer das Fenster des Sakraments der Eucharistie. Das Thema geht auf die Sakramentsbruderschaft zurück, welche den Anstoss zur neuen Befensterung der Kolligiatskirche gab. Kollegiatskirche, weil St. Nikolaus erst 1924 zur Kathedrale erhoben wurde, als der Bischofssitz der Diözese Genf, Lausanne, Freiburg in der Stadt Freiburg ihren Sitz hatte.
Mit seinem vierten Fenster verlässt Mehoffer das ursprüngliche Kompositionsschema der vier eigenständigen Fensterbahnen. Hier wird die Szene bahnübergreifend im Prinzip im linken und im rechten Doppelfenster dargestellt. Im rechten Doppelfenster ist die Kreuzesabnahme dargestellt, im linken die Präsenz Christi in der Hostie. Beide Fensterbahnen werden miteinander druch die von links unten nach rechts oben aufsteigenden Weihrauchschwaden und die rot gewandeten Engel verklammert.
Dreikönigsfenster

Józef Mehoffer stellt in diesem Bleiglasfenster die Anbetung der Könige unter dem Gewölbe eines Sternenhimmels dar. Die drei Könige fallen vor der Muttergottes und dem Jesuskind auf die Knie. Über ihnen strahlt der Stern von Bethlehem. Ein Engel mit weit geöffneten Flügeln hält das Spruchband. Darauf steht: «Gloria in excelsis Deo». Unter der Hauptszene richtet Herodes den Blick auf den Tod, der ihn in die Schulter beißt. Auf dem Boden liegen die im Kindermord von Bethlehem getöteten Neugeborenen. Rechts sitzt Satan in Begleitung einer Schlange.
Elemente der Volkskunst prägen das Bild. Es ist reich an stilistischen und formellen Kontrasten. Es erinnert an volkstümliche Krippen und an traditionelle Weihnachtsaufführungen, wie sie in Polen stattfanden. Der Jugendstil kündigt sich an in einigen Details der Verzierung wie zum Beispiel in den Blumen, die über Herodes und Satan einen Fries bilden. Zudem äußert er sich in den Pastelltönen, während die starken Farben mehr der volkstümlichen Kultur entsprechen. Die Darstellung des Herodes ist ausgesprochen originell, denn dieser böse König und der ihn begleitende Tod erscheinen hier sozusagen als Gäste Satans.
Das Annafenster

Die vier Heiligen stehen unter ornamentalen Arkaden. Über ihren Häuptern erscheinen himmlische Heerscharen. In den Kopfscheiben richten Adler ihren Blick auf das grelle Licht der Sonne – Sinnbilder der frommen Seele, welche die Pracht des ewigen Gottes erblicken. Georg und Michael stehen über den von ihnen besiegten Personifikationen des Bösen. Unter dem heiligen Georg ist vor der mit erhobenen Händen um Hilfe schreiende Prinzessin mit fantastischem Kopfputz der Drache zu sehen, ein Raubtier, das heftig in die Lanze beißt. Der Erzengel, als muskulöser junger Mann mit blonden Haaren dargestellt, triumphiert mit ausgestreckten Armen über Luzifer, der in sich zusammenfällt; seine Lanze ist in drei Stücke zerbrochen. Neben ihm fletscht der der schwarze Höllenhund mit haẞerfüllten Augen seine Zähne.
Anna und Maria Magdalena sind als vornehme Damen gekleidet. Hinter der Mutter Mariens stehen die Muttergottes und Christus, unter ihr sprudelt ein Springbrunnen, ein vielfältiges marianisches Symbol. Unter der Sünderin Maria Magdalena, verhüllt mit einem langen schwarzen Schleier, schleicht eine Schlange durch einen rot blühenden Rosenbusch, der Eifer und Güte symbolisiert. Beide Eigenschaften kennzeichnen Magdalena.
Stilistisch herrscht in diesem Bleiglasfenster ein diskreter Jugendstil. Er findet sich etwa in den geschlängelten Linien, die den von der Lanze durchborten Drachen umreiẞen wie auch in den Verzierungen. Die Pflanzenwelt ist stark stilisiert. Die Farben haben symbolische Bedeutung. Das grelle Rot der Kleidung Michaels unterstreicht seine Dynamik und seine siegesbewuẞte Haltung. Im Gegensatz dazu kennzeichnen die grauen, schwarzen und violetten Töne die Betrübnis und das Entsagen von Anna und Maria Magdalena.
Fenster der Bischöfe und Diakone

Die vier Fensterbahnen zeigen je einen Heiligen. Von links nach rechts sind dies zwei Diakone , der heilige Stephan und der heilige Laurentius, und zwei Bischöfe, der heilige Martin und der heilge Claudius. Die mittlere Figurenzone besitzt auch einen symbolischen Gehalt: Hinter den Heiligen stehen paarweise zwei Mädchen. Sie symbolisieren die drei theologischen Tugenden Glaube, Hoffnung, Liebe und die vier Kardinaltugenden Klugheit, Mäẞigkeit, Stärke, Gerechtigkeit sowie die Wissenschaft. In Kniehöhe charakterisiert eine Devise jeden der Heiligen. Zusätzlich erscheint bei Martin und Claudius eine erklärende Figur aus der Heiligenlegende: der Bettler bzw. das Kind.
|en=The four window panels each show a saint. From left to right, these are two deacons, St. Stephen and St. Lawrence, and two bishops, St. Martin and St. Claudius. The central zone of figures also has a symbolic content: two girls stand in pairs behind the saints. They symbolise the three theological virtues of faith, hope and love and the four cardinal virtues of prudence, mightiness, strength, justice and science. At knee height, a motto characterises each of the saints. In addition, Martin and Claudius have an explanatory figure from the legend of the saints: the beggar and the child respectively.
Fenster des Niklaus von Flüe

Das Glasfenster, das während des Ersten Weltkriegs von Jósef Mehoffer erschaffen wurde, stellt über alle vier Fensterbahnen eine patriotische Szene dar: Eine Schar von Eidgenossen in spätmittelalterlicher Kleidung steht um den »Altar des Vaterlandes», eine Säule, die an die Figurenbrunnen in der Altstadt erinnert. Auf der kanzelartigen Auskragung der Säule stehen die allegorischen Figuren der Libertas und Patria. Im Vordergrund erheben die Männer ihre Hand zum Treueschwur. Im Mittelgrund sind zwei Szenen aus dem Leben des Heiligen dargestellt, getrennt durch die Säule. Links betet der Bruder Klaus im Kreis seiner Familie und rechts ist er als betender Einsieder dargestellt. Über den Köpfen von Libertas und Patria erscheinen weiss strahlend das Alpha und Omega. Ein nachtblauer Himmel schliesst die Szene nach oben ab und nach unten ein Fries mit zehn Wappen eidgenössischer Orte sowie der Devise des heiligen Bruder Klaus: LA PAIX ET TOUJOURS EN DIEU PARCE QUE DIEU EST LA PAIX.
Der heilige Bruder Klaus trat bei Zwistigkeiten schlichtend auf. Er wurde auch bei landesinternen Auseinandersetzungen als Schlichter angerufen. Während des Ersten Weltkriegs erfuhr er eine vermehrte Wertschätzung. Freiburg und Solothurn, die ihre Aufnahme in die Eidgenossenschaft dem Heiligen zu verdanken haben, zollten ihm, wie schon Jahrhunderte früher mit dem Samariterinbrunnen, eine besondere Verehrung