1985 nahm ich unbezahlten Urlaub und reiste nach Nicaragua, um mich für mehr soziale Gerechtigkeit zu engagieren und mich zu solidarisieren. Das war natürlich ein Prozess, der viel früher begonnen hatte.
Horizonterweiterung
Paris
Im Laufe meiner akademischen Laufbahn verspürte ich zunehmend stärker den Drang, im Ausland meinen Horizont zu erweitern. Zu diesem Zweck reiste ich in den Sommerferien nach Paris in der festen Absicht, mich für das kommende Wintersemester an der Sorbonne einzuschreiben und nach Möglichkeit die französische Schule der Strukturalisten näher kennenzulernen. Allein, meine Reise konfrontierte mich in Paris mit einer sprachlich-akademischen Realität, der ich mich nicht gewachsen fühlte. Zudem hatte ich in Erfahrung gebracht, dass es für die Ausländer eine spezielle Universität so ziemlich ausserhalb von Paris gab. Ich hatte kein Bedürfnis, mich in ein Ausländerghetto zu begeben. Dazu brauchte ich Paris nicht. Aus diesen Gründen liess ich meine Pläne, in Paris zu studieren, fahren. Nachdem ich mich auch erfolglos um ein Stipendium zum Studium in Deutschland beworben hatte, nahm ich bereits ein Jahr nach meiner Reise nach Paris Kontakt mit der Universität Wien auf.

Wien
Hier war die Immatrikulation für Schweizer spielend einfach und die Studiengebühren sogar günstiger als an meiner Alma Mater. In den Sommerferien hatte ich gut 50 Briefe verschickt, um mich für ein Studentenzimmer zu bewerben. Dieser Briefaktion war der Erfolg versagt geblieben.
Ankunft
So reiste ich denn am 12. Oktober 1978 für Fr. 69.40 zu Semesterbeginn mit einem Koffer, meiner mechanischen Schreibmaschine Marke Erika nach Wien, ohne überhaupt zu wissen, wo ich wohnen könnte. Ich hatte mir vorgenommen, die ersten paar Nächte in einer Jugendherberge zu übernachten, bis ich ein Zimmer gefunden hätte. Doch musste ich feststellen, dass alle Wiener Jugendherbergen belegt waren. In zweien hatten sich für den Winter amerikanische Schulen eingemietet und eine weitere war im Winterhalbjahr geschlossen. So verbrachte ich die erste Nacht in einem billigen Hotel.
Am nächsten Tag fand ich ein sogenanntes Youth Hostel, das ähnlich funktionierte wie eine Jugendherberge. Ich bekam ein Zimmer mit drei anderen Jungen. Weil es hier bedeutend billiger war als im ersten Hotel, das mir den Eindruck eines Stundenhotels gemacht hatte, zog ich um. Meine Wohnungssuche gestaltete sich kompliziert. Zuerst erledigte ich die notwenigen Formalitäten bei den Behörden. Dann wandte ich mich an eine Wohnungsvermittlung, wo mir die Chefin einige hundert Schilling abknöpfte, bevor sie überhaupt einen Finger für mich rühren wollte. Dieses Geschäft schien mir sehr unseriös. Deshalb liess ich es trotz der bereits investierten Summe bleiben. Bei der Studentenberatung riet man mir, mich an die Technische Universität zu wenden, wo es eine Zimmervermittlungszentrale für Studenten gebe. Das machte ich. Hier gab man mir gegen Kaution von 100 Schilling eine Adresse für ein freies Zimmer. Mit der Strassenbahn fuhr ich bis zum Zentralfriedhof, wo ich auch bald die Haschgasse fand. Schnell fand ich das gesuchte Haus, meldete mich und wurde von einem alten Ehepaar nicht unfreundlich, von zwei Doggen aber mit grimmigem Knurren, speicheltriefenden Lefzen und gefletschten Zähnen empfangen. Die Hausherren wollten wissen, woher ich käme usw. und zeigten mir das besagte Zimmer. Die Frau widmete sich den Doggen, der Mann, ein Rentner, informierte mich, dass sie die Hausbesitzer seien und den oberen Stock mit 3 Schlafzimmern und einem Bad/WC an Studenten vermieteten. Das Zimmer war geräumig, etwa 3 auf 3 Meter mit einem Doppelfenster, einem Öl-Öfelchen, einem Doppelbett, einem Tisch mit Stuhl und einem Schrank. Von der Decke hing eine Lampe mit sechs Armen und sechs Birnen.

Ausserdem gab es einen Schrank. Schliesslich machte mich der Hausbesitzer mit der Hausordnung bekannt: Erstens durfte ich pro Woche nur einmal warm duschen. Zweitens war Damenbesuch zwar geduldet, wenn möglich aber zu vermeiden («Wir wolln nit ins Gerede komma»), und ab 21 Uhr untersagt. Drittens durfte ich den «Lüster» nicht anzünden, weil der mehr Strom verbrauche als in meiner Zimmermiete veranschlagt sei. Viertens musste ich den Brennstoff für das Zimmeröfelchen selbst besorgen und bezahlen. Später gestand mir der Hausherr, dass er bei der Polizei gearbeitet hatte. Ich holte meinen Koffer im Hotel und zog hier ein, nachdem ich die erste Monatsmiete bezahlt hatte. Dann meldete ich mich bei der Zimmervermittlung an der Technischen Universität, teilte mit, dass ich das besagte Zimmer gemietet hatte, und nahm meine Kaution wieder entgegen.
Spartanisch
Schon am gleichen Abend klopfte der Hausherr an die geriffelte Glastür meines Zimmers und fragte mich verärgert, ob ich wieder ausziehen wolle, da er sehe, dass ich mich nicht an die Hausregeln halte wolle. Überrascht fragte ich, welche Regel er denn meine. Er wies auf die angeschaltete Zimmerbeleuchtung und sagte, der Lüster dürfe wie abgemacht nicht eingeschalten werden. Er sah aber ein, dass ich nicht gut im Dunkeln lesen konnte, drehte kurzerhand 4 Birnen aus der Fassung und versprach mir, nun schon versöhnlicher, er stelle mir eine Tischlampe auf meinen Arbeitstisch zum Lesen. So geschah es. So wohnte ich nun in der Haschgasse, in der Nähe des gar nicht zentral gelegenen Wiener Zentralfriedhofs.
Neben mir wohnten in einem Zimmer zwei einheimische Studenten. Ihr Zimmer war vermutlich das ehemalige Elternschlafzimmer. Und neben diesem Zimmer befand sich ein kleines Zimmer. Darin wohnte Bernhard, ein Deutscher, der sich an der Wiener Kunstakademie in Glasmalerei ausbildete. Mit den beiden Österreichern pflegte ich keine Beziehung, die über «Guten Morn» usw. hinausging. Ab und zu traf man sich an der Kochnische im Korridor mit 2 Kochplatten und musste meist warten, bis der erste fertig gekocht hatte. Mit Bernhard pflegte ich mehr Beziehungen. Er war es, der mich anfänglich zu Kollegen mitnahm. Und er machte mich auch darauf aufmerksam, dass unsere Wirtsleute die eingehende Korrespondenz ihrer Mieter zwar nicht öffneten, aber mitunter doch Auskünfte über den Absender oder mehr noch über die Absenderin verlangten, wenn ihnen ein Brief suspekt vorkam.
Nach und nach verloren die Bäume vor dem Haus ihre Blätter. Es wurde eiskalt in Wien. Mein Zimmer war ein Kühlschrank, weil ich tagsüber nicht heizte. Wenn ich abends nach Hause kam und den kleinen Ofen anmachte, stank es sofort nach Heizöl. Warm wurde es erst, wenn ich ins Bett ging. Und am Morgen, wenn ich aus dem warmen Bett kroch, erstarrte ich wieder fast zu einem Eiszapfen. Heizen machte wenig Sinn, denn ich verliess meist kurz nach acht Uhr das Haus. Abends zwang ich mich ab und zu unter die eiskalte Dusche. Danach war mir auch im eiskalten Zimmer warm.
Zum Abendessen ass ich oft Rosinen und Haselnüsse. Das war einfach in der Zubereitung, lang haltbar, billig und nahrhaft. Natürlich wäre mir eine heisse Suppe oft lieber gewesen. Und ab und zu ging ich auch über den Viktualien- oder sonst einen Markt nach Hause und kaufte mir einen heissen Leberkäs mit Brot oder eine Debreziner Wurst.
Und fühlte ich mich unterkühlt und schmutzig, besuchte ich ab und zu das Amalienbad, ein altes Volksbad. Hier gab es ein geheiztes Schwimmbad. Ausserdem konnte man gegen eine Extra-Gebühr ein warmes Bad in einer der alten Badewannen nehmen. Diese Dienstleistung stammte noch aus der Zeit, als es in den gewöhnlichen Wohnungen von Wien noch kein Bad gab; aus jener Zeit, als diejenigen, die es sich leisten konnten, zur persönlichen Körperpflege in ein öffentliches Bad gingen. Mein akademisches Leben hatte ich nun einigermassen strukturiert. Ich hatte das Vorlesungsverzeichnis studiert, in einigen Vorlesungen und einem Seminar für Mittelhochdeutsch geschnuppert. Der Professor des Seminars hatte mir mitgeteilt, dass ich zum Seminar zwar zugelassen sei, aber noch eine Prüfung nachholen müsste. Ich interessierte mich aber eigentlich nicht dafür, weil mir für die Zulassung zu den Lizentiatsprüfungen an meiner Alma mater in Fribourg nur die Teilnahme an einem einzigen Seminar fehlte. Deshalb beschloss ich, nur eine Vorlesung zu besuchen: Inhaltlich ging es in erster Linie um die Christianisierung Europas, ausgehend von den irischen Mönchen. So war ich – abgesehen von den Mittagessen in der Mensa – nur einmal wöchentlich regelmässig an der Universität. Ich begann aber die österrichische Nationalbibliothek zu besuchen. Bald hatte ich in Erfahrung gebracht, wie ich Bücher für den Lesesaal ausleihen konnte.
Akademische Freiheit

Fast so regelmässig wie ein Beamter traf ich nun täglich gegen 9 Uhr an der Österreichischen Nationalbibliothek ein, wo ich mich hinter die Lektüre nicht etwa von Literatur für meine Lizentiatsarbeit machte, sondern zunächst einmal so ziemlich alles las, was ich von Mircea Eliade fand. So las ich literarische Werke von ihm, aber auch ethnologische über Schamanismus, Initiationsriten, Yoga, ein Tagebuch, in dem ein Besuch in Fribourg, bei einem Kollegen der Etnologie in Froideville erwähnt war. Nach diesen ausgedehnten Ausflügen in die Ethnologie und Literatur nahm ich mir Fachliteratur über Bauernhäuser vor. Da stiess ich aber auf eher magere oder thematisch zu abgelegene Fachliteratur. So konzentrierte ich mich auf das Walsertum. Nun las ich wochenlang über die Kultur der Walser, historische Untersuchungen zu deren Wanderbewegungen, sogar Fachliteratur zur Frage, warum die Walser die Pestzeiten besser überstanden hatten als viele andere Nachbarn. War es einfach die Höhe der Wohnlage? War es die dominierende Blutgruppe, worin sich eine gewisse Ähnlichkeit mit Indianervölkern zeigte? Und nebst der Lektüre besuchte ich vor allem samstags und sonntags viele Museen, viele davon immer wieder. In gewisser Weise dienten mir die Museumsbesuche auch dafür, mich ein wenig aufzuwärmen. Denn am Sonntag waren von Mittag bis 15 Uhr auch praktisch alle Kaffeehäuser in Wien geschlossen.
Mit Bernhard besuchte ich ab und zu Studentenbeisl und lernte dadurch auch andere Studenten kennen. Auf den österreichischen Nationalfeiertag, den 26. Oktober, der auf einen Donnerstag fiel und damit ein verlängertes Wochenende abgab, planten wir, eine Gruppe von 4 – 5 Studenten, eine Reise per VW-Bus nach Venedig. Zuerst mussten wir aber nach Linz reisen, um dort von einem Bruder eines Kollegen den VW-Bus abzuholen. Angesichts des bedenklichen Zustands dieses Vehikels wurde vereinbart, dass wir den Bus am Strassenrand stehen lassen würden, falls er seinen Geist aufgeben würde. Denn wir wollten keine Abschlepp- und Schrottgebühren bezahlen. So fuhren wir los. Wir genossen die Sonne in Venedig, besuchten Kirchen und Museen und kamen mit unserem VW-Bus heil wieder in Wien an.
Politisierung
Von Freiburg kannte ich den Boykott der Mensa durch die Studenten und die von den Studenten betriebene Alternativküche. Ich nahm zwar an diesen Aktionen nicht aktiv teil. Aber als Konsument unterstützte ich die studentische Opposition.
Mir fielen in Wien Strassenaktionen der Studentinnen und Studenten auf, die Unterschriften im Zusammenhang mit der Revolution in Persien sammelten. Ich nahm nicht aktiv teil. Denn von diesen Dingen verstand ich zu wenig. Aber ich erteilte bereitwillig meine Unterschrift unter eine Petition zugunsten der Opposition, die sich gegen den Schah von Persien regte. Erst später wurde mir der damals im französischen Exil lebende Ayatollah Khomeini, der die Revolution gegen den Schah massgeblich beeinflusste, ein Begriff. Ich verfolgte diese politischen Ereignisse nicht. Aber mich beeindruckte doch das selbstlose Engagement der Studenten, die sich auf zügigen Strassenkreuzungen, an eiskalten Strassenbahnhaltestellen usw. mit ihrer politischen Botschaft an die Fussgänger wandten und um Sympathie und Unterstützung für die gerechte Sache des iranischen Volkes warben.
Aktivist bei Amnesty International
Mein spartanisches Leben in Wien, meine ausgelebte akademische Freiheit, das politische Engagement der Studenten – das waren Erfahrungen und Wahrnehmungen, die mich nachhaltig beeinflussten. Wieder zurück in der Schweiz, sah ich viele Dinge aus einem neuen Blickwinkel. Es ging nicht lange, bis ich mich für Amnesty International interessierte. Ich nahm an einer Sitzung der Freiburger Gruppe teil und wurde bald deren Mitglied. Die Sitzungen wurden zweisprachig, d.h. mehrheitlich auf Französisch gehalten. Jedes Mitglied war aktiv in mindestens einem Arbeitsbereich. Ich engagierte mich in der Arbeitsgruppe CASA (Central American Special Actions). Wir waren etwa 4 deutschsprachige Personen; wir hielten uns erstens durch regelmässige Lektüre der verfügbaren Presse und Spezialberichte von Anmesty International über die Ereignisse (Politik, Naturkatastrophen, Wirtschaft) in Zentralamerika auf dem Laufenden und zweitens hatten wir sogenannte Urgent Actions umzusetzen. Das waren Briefaktionen zugunsten der Aufklärung von Fällen von Verschwundenen, Ermordeten oder kürzlich meist ohne Haftbefehl Inhaftierten. So schrieben wir auf Englisch unsere Biefe, schickten sie an die verantwortlichen Stellen in Zentralamerika und meist auch Kopien an die offiziellen Vertretungen in der Schweiz. Mit zunehmendem Engagement wurde mir klar, dass die Menschenrechtsverletzungen durch unsere politischen Briefaktionen kaum reduziert wurden. Zwar mag es in Einzelfällen zu Erleichterungen oder der Lösung von Fällen gekommen sein. Mir wurde aber je länger je mehr bewusst, dass die Menschenrechtsverletzungen Symptom waren für die politischen und oft gewaltsamen Auseinandersetzungen in Zentralamerika. Und immer wieder wurde deutlich, wie sehr die US-Administration oder die CIA in gewisse Fälle direkt oder indirekt zumindest als stummer Zeuge verwickelt war. Leicht durchschaubar war, dass die Ursache dieser Auseinandersetzungen eine zum Himmel schreiende soziale Ungerechtigkeit in diesen Ländern war.

Aus diesen Gründen formte sich in unserer CASA-Gruppe ein Kern, der sich nicht mehr mit Briefaktionen und mit der Amnesty International eigenen diplomatischen Diskretion zufrieden geben wollte. Wir wollten Gegenöffentlichkeit für die verdeckten und geheimen Aktionen der von der US-Administration gestützten Regierungen. Wir rückten die soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt, die Menschenrechtsverletzungen waren eines der vielen Symptome.
Wir verfolgten die Ereignisse des sandinistischen Nicaragua, wo Daniel Ortega mit der FSLN und der Unterstützung breiter Teile der Bevölkerung soziale Gerechtigkeit einzuführen versuchte und sich erfolgreich gegen den von der US-Administration gelenkten und unterstützten Guerilla-Krieg der Contras wehrte. Wir verfolgten den unerklärten Bürgerkrieg in El Salvador, wo hunderte von Regimegegnern verschwanden, wo Studenten von der Polizei niedergeschossen wurden, wo der charismatische Erzbischof von San Salvador während der Messe kaltblütig erschossen wurde und die von der Arena-Partei gedungenen Mörder und deren Auftraggeber nie vor Gericht gestellt wurden. Wir verfolgten den bitteren Kampf der guatemaltekischen Indios und der Bauern, von denen viele grausam in Kerkern zu Tode gefoltert oder freigelassen und dann tot aufgefunden wurden. Im Wissen um diese Geschehnisse konnte ich nicht diplomatisch und neutral bleiben. Mit einigen anderen zusammen hatte ich längst Partei ergriffen.
Casa Aktivist
Seit den frühen 1980-er Jahren nahm ich an Aktionen von amnesty international, Sektion Deutschfreiburg, teil. Ich war aktiv in der sogenannten CASA-Gruppe: CASA steht für Central America Special Actions . Und wie der Name sagt, beschäftigten wir uns mit Menschenrechtsverletzungen in ganz Zentralamerika. Die folgenden Fotos stammen aus den vertraulichen Unterlagen zu einer Central America Special Action, die wir in den 1980er Jahren in einem Fall schwerer Menschenrechtsverletzungen in El Salvador lancierten.
- Soldaten schiessen auf Studierende der Uni in San Salvador
- Ermordete bestialisch zugerichtet und zur Schau gestellt
Mit der Zeit konnten wir uns aber nicht mehr mit dem Verfassen von Briefen und Petitionen zu Handen der verantwortlichen Amtsstellen in Zentralamerika abfinden. Wir hatten begriffen, dass es sich nicht um Versehen, um fehlbare Behörden oder Einzelfälle handelte, sondern um massive soziale Konflikte in ganz Zentralamerika. Die machthabende und meist auch regierende Elite des jeweiligen Landes kämpfte mit allen Mitteln der Repression gegen die zumeist mittellose Zivilbevölkerung. In diesem Kampf nahmen die Behörden bzw. die Regierungsstellen Menschenrechtsverletzungen in grossem Stil in Kauf.
Amnesty international hatte den Regierungsstellen und einigen militärischen Führern Kontakte zu paramilitärischen Gruppierungen und zu sogenannten escuadrones de la muerte (Todesschwadronen) nachgewiesen, ohne dass sich tatsächlich etwas änderte. Auch auf dem internationalen Parkett benahm sich die offizielle Schweiz mehr als zurückhaltend. Später, als ich Mitglied des Zentralamerika-Komitees in Freiburg war, nahm ich jedes Jahr an der Gedenkfeier zu Ehren von Monseñor Oscar Arnulfo Romero teil.

Es gab ab 1986 auch Schweizer, die in Zentralamerika ermordet wurden. Maurice Demierre und Yvan Leyvraz waren die ersten. Sie wurden 1986 in Nicaragua von der US-finanzierten und angeleiteten Contra ermordet. 1988 traf es den Theologen Jürg Weis, den ich persönlich gekannt hatte, in El Salvador. Als Mitglied des Freiburger Zentralamerika-Komitees hatte ich manchmal mit ihm zu tun gehabt. Nicht zuletzt war er es, der meinen Salvador-Aufenthalt in die Wege geleitet hatte. Er war es gewesen, der die Kontakte zu Padre Pedro usw. hatte.
Erste Reise nach Nicaragua
Ende 1984 beschloss ich, 1985 nur bis Ostern zu arbeiten und mich danach einer sogenannten Arbeiterbrigade anzuschliessen, die in Nicaragua Aufbauarbeit leisten sollte. Zu diesem Zweck beschaffte ich mir einen Überblick über die Geografie Nicaraguas.

Brigadist
Ausserdem traf ich mich an einem Samstag in Bern mit etwa 15 jungen Frauen und Männern. Uns wurde erklärt, dass die Einsatzteams in Anlehnung an die Hilfsbrigaden im Spanischen Bürgerkrieg als Arbeitsbrigaden bezeichnet werden. Dann wurde uns mitgeteilt, was uns im Einsatz in Nicaragua erwarten sollte. Wir hatten mit Malaria und sehr einfachen Lebensverhältnissen zu rechnen. Das Gebiet galt nicht als Kriegsgebiet. Dennoch könnten die Contras in Guerilla-Taktik unsere Aufbau-Arbeit stören. Das Projekt, in dem wir eingesetzt werden sollten, hiess La Rondalla. La Rondalla war eine ehemalige Kaffee-Finca eines 1979 geflohenen Anhängers des vertriebenen Somoza-Clans. Mit Hilfe von Arbeitsbrigaden sollten einfache Wohnhäuser für die dort ansässige Landbevölkerung gebaut werden, verbunden mit einem einfachen Trinkwasser- und Abwassersystem. Jede Arbeitsbrigade sollte 6 Wochen vor Ort im Einsatz sein und durch eine nachfolgende abgelöst werden. Wir waren die dritte Brigade und wurden über den Projektverlauf von unseren Vorgänger-Brigaden informiert. Schliesslich wurden die notwendigen Vorbereitungen behandelt. Die Kosten trug jeder Brigadenteilnehmer selbst. Jeder hatte den Flug selbst zu berappen und für Transport, Kost und Logis während des Einsatzes in Nicaragua eine Pauschale zu bezahlen. Die Flugreservation übernahm der Organisator, in diesem Fall das Zentralamerika-Sekretariat in Zürich. Das Gepäck musste aufgeteilt werden. Denn wir wurden belehrt, dass wir nicht als Touristen nach Nicaragua reisen würden. Wir seien eine Gruppe. Nicht jeder braucht alles. Zum Beispiel seien etwa zwei Fotoapparate für unsere Gruppe ausreichend, um Fotos zu schiessen, mit denen wir nach der Rückkehr politische Arbeit leisten könnten. Ausserdem sollten wir noch einige Werkzeuge und Medikamente in unserem Gepäck mitnehmen. Ferner gelte es zu bedenken, dass unser Gepäck bestehend aus einem Rucksack, einem Schlafsack, Schuhen, Necessaires voll verschiedener Crèmes, Pasten, Utensilien zur Körperpflege, Windjacken, Medikamenten und Erster Hilfe, Unterwäsche und übriger Kleider wertmässig bedeutender sei als ein durchschnittlicher Haushalt in La Rondalla. Wir sollten mit unserem persönlichen Reichtum nicht Diebstahl Vorschub leisten oder Minderwertigkeitsgefühle seitens der Nicas auslösen.
Kulturschock
Am kommenden Morgen nahmen uns diejenigen, die schon länger in Nicaragua waren, mit ins Hotel Intercontinental. Wir bezahlten das Frühstück in Dollar. Dann standen wir vor einem reich gedeckten Frühstücksbuffet mit vielen Früchten, Müesli, Joghurt, Corn-flaces, verschiedenen Brötchen, Kuchen, Rührei, gebratenem Schinken, Tortillas, Kaffee, Milch, Tee, Fruchtsäften. Unsere «Führer» ermunterten uns, tüchtig zuzugreifen. Denn so was hätten wir dann in La Rondalla nicht mehr.
Anschliessend begaben wir uns auf eine Besichtigung der Stadt. Merkwürdig muteten die vielen Ruinen an. Die Kathedrale bestand aus einer ruinösen Fassade, zwei kahlen Seitenwänden und dem verwitterten Chorabschluss, alles ohne Dach. Und in der Nähe gab es mehrstöckige Häuser, die eingefallen waren. Es waren die stummen Zeugen jenes Erdbebens, das 1972 einen Grossteil der Hauptstadt zerstört hatte. Die internationale Hilfe, mit der Somoza anschliessend den Wiederaufbau hätte finanzieren sollen, wurde massiv zur Bereicherung der Somoza-Familie und ihrer Günstlinge missbraucht. So blieben viele Ruinen stehen, ohne durch Neubauten ersetzt worden zu sein. Ich nahm Managua wahr als ein grosses Dorf. Es gab zwar breitspurige Strassen mit lärmendem Verkehr, aber eigentlich keine Strassenzüge mit geschlossenen Häuserfassaden beidseits der Strasse. Ich sah auch frei laufende Hühner, einen mächtigen alten Baum, dem die Strasse beidseitig auswich ähnlich wie die Murtenlinde auf der Route des Alpes in Fribourg. So hinterliess Managua einen seltsam widersprüchlichen Eindruck zwischen dem Anspruch einer Hauptstadt und dem Aussehen eines ländlichen Dorfes. Und dieser Widerspruch erschütterte das, was ich mir als eine Hauptstadt vorgestellt hatte. Ich war verunsichert. War das wirklich Managua, die Landeshauptstadt? Wo ist Managua wirklich?
Schliesslich fuhren wir in einem für uns organisierten alten Bus nach Matagalpa. Auch diese Provinzhauptstadt machte auf mich einen widersprüchlichen ländlichen, ja dörflichen Eindruck. Und nochmals wurde mein Konzept, was eine Stadt ist, erschüttert und meine Unsicherheit verstärkt.
Hier assen wir in einem comedor popular zu Mittag. Es gab Reis, Tortillas, etwas Fleisch und ein Getränk. Dann ging die Reise weiter über Schotter- und staubige Erdstrassen durch eine grüne Hügellandschaft mit Bananenstauden, ab und zu Palmen und vielen unbekannten Sträuchern und Bäumen.
Der Einsatz in La Rondalla
Am späten Nachmittag kamen wir auf der Hacienda La Rondalla an. Wir begrüssten einige Schweizer Brigadisten und einige nicaraguanische Arbeiterinnen und Arbeiter. Neugierige Kinder strömten herbei, um zu erfahren, wer wir seien, was wir vorhätten und was wir mitgebracht hätten. Hier war für die nächsten sechs Wochen unser Einsatzort. Wir sahen die ersten Wohnhäuser im Entstehen: Bei einigen sah man erst die ausgehobenen Gräben für die Fundamente, andere besassen schon Wände, und zwei hatten schon ein Dach, waren also im Rohbau praktisch fertig. Wir bezogen Quartier im sogenannten acampamento, einem Bretterbau mit einem Mittelgang ähnlich einer Tenne und seitlich je 3 Schlafräumen. Der an einen Stadel erinnernde Ständerbau ruhte auf ca 30 cm hohen Pfeilern aus Beton und einem darauf aufliegenden Balkenkranz. Trat man vom Mittelgang in einen der Schlafräume, hatte man zu beiden Seiten der Türe je zwei doppelstöckig gezimmerte Kajütenbetten. So fanden acht Personen in einem Raum Platz. Das acampamento umfasste sechs solcher Räume. Es gab natürlich kein Wasser, keine Dusche und kein WC in unserer Unterkunft. Eine Glühbirne sorgte für die nötige Beleuchtung. Wir verstauten unsere persönlichen Effekten in diesen Schlafräumen. Einige Schritte abseits vom acampamento befand sich eine Zwillingslatrine, die unsere Vorgänger ausgehoben und gezimmert hatten. Und wir würden sie bald auch beanspruchen.
Das acampamento diente schon früher während der Kaffee-Ernte den vielen Pflückerinnen und Pflückern. Das waren Saison-Arbeitende mit einem geringen Einkommen während einigen Wochen pro Jahr. Ihr Lohn bestand aus der zur Verfügung gestellten Unterkunft im acampamento, der Verpflegung und einem geringen Tageslohn, der teilweise in Gutschriften der Hacienda ausbezahlt wurde. Mit diesen Gutschriften konnten die Taglöhner im Laden der Hacienda Utensilien des täglichen Lebens wie Streichhölzer, Kerzen, Kerosen, Kerosenlampen, Decken, Stoff, vielleicht sogar Stiefel oder Milch für Kinder, vielleicht auch ein Aspirin usw. erstehen. So beutete der Grundbesitzer die Taglöhnerfamilien doppelt aus: einmal als billige Arbeitskräfte, die er von heute auf morgen mir nichts dir nichts entlassen konnte, und andrerseits als Konsumenten, die den in Gutschriften ausbezahlten Teil des Lohn nirgends als in seinem Laden gegen Waren umtauschen konnten. Dadurch war jede Konkurrenz – sei sie preislicher oder qualitativer Natur – ausgeschaltet.
Am Abend lernten wir noch mehr Leute kennen. Sie waren in unser acampamento gekommen, um uns kennenzulernen. Da waren die drei Köchinnen, die bereits etwa um 4 Uhr morgens mühsam mit einer Handmühle den Mais für die Tortillas mahlten, dann Brennholz holten und Feuer anfachten, gegen sechs Uhr Kaffee kochten und die Tortillas backten. Ferner begrüssten wir noch einige nicaraguanische Bauhandwerker und Gehilfen, dann aber auch einige, die in der Kaffeeplantage arbeiteten und wieder mehrere Kinder. Der Mittelgang unseres acampamento, in dem wir Schweizer und die nicaraguanischen Maurer untergebracht waren, wurde in der Folge zu unserem abendlichen Aufenthaltsraum, wo bei elektrischer Beleuchtung oder bei Kerzenschein gelesen, geschrieben, diskutiert, gesungen und zu Gitarrenklängen getanzt wurde.
Müde zog ich mich in meinen Schlafsack zurück und schlief trotz Gesang und Gitarrenklänge bald ein. Ein erbärmliches Jammern, Knurren und Bellen weckte mich. Es war stockdunkel. Das Gekläff hielt an. Ich spürte bald, dass sich einige Hunde unter unserer Unterkunft ihre Lagerstätte ausgesucht hatten, vermutlich eine Hündin mit einem Wurf Welpen. Irgendwann schlief ich wieder ein. Ich wurde aber noch mehrmals geweckt. Mal waren es die vielen streunenden Hunde, dann wieder mochten es Ratten sein, gegen Morgen waren es die Hühner und Hähne, die uns mit ihrem Gescharre und Kickerikiiiie weckten. Zweifellos gab es viel Ungeziefer unter unserem acampamento. Ich dachte an die Familien, die hier einmal gewohnt hatten mit ihren Säuglingen und Kleinkindern, die nachts geweint und niemanden ruhig hatten schlafen lassen.
Zum Frühstück gab es schwarzen, bitteren Kaffee, Zucker, Maistortillas, schwarze Bohnen und Reis. Am Mittag wiederholte sich das Essen. Statt Kaffee gab es Wasser. Zum üblichen Essen gab es noch etwas Gemüse, das Geri in Matagalpa eingekauft hatte. Am Abend kam wieder das gleiche Essen auf den Tisch. Schon nach wenigen Tagen, gab es kein Gemüse mehr, nur noch ab und zu ein wenig gekochten Maniok.
La Rondalla war eine im Nordosten von Esquipulas gelegene Kaffee-Finca mit rund 390 manzanas.
In La Rondalla gab es kein Telefon, kein Fernsehen, keine Zeitung, keinen Arzt. Der nächste Arzt war zu Fuss in drei Stunden und mit einem geländefähigen Fahrzeug in zwei Stunden (Umweg) erreichbar. Es gab auch kein Auto. Das einzige Fahrzeug war ein Traktor, der ab und zu in benachbarten Plantagen eingesetz werden musste. Und natürlich gab es weit und breit kein Restaurant und keine Bar. Einige Frauen, die über einen grossen Behälter und einige Becher verfügten, bereiteten Mais-chicha zu, ein im Anfangsstadium des Gärens befindliches bier- oder mostähnliches Getränk aus Wasser, Zucker und Mais, und verkauften diese chicha becherweise an uns gringos. Abends gab es zwar Elektrizität, aber nur, wenn der zur Stromerzeugung betriebene Generator in Funktion trat und Diesel verfügbar war. Und das war nicht oft der Fall. Bei den Holzhäuschen, die mir wie Geräteschuppen oder Riethütten vorkamen, handelte es sich tatsächlich um die Behausungen der einheimischen Familien, die nicht selten eine ansehnliche Kinderschar umfasste.
Tagsüber arbeiteten wir in Gruppen auf dem Bau. Jeder nicaraguanische Maurer hatte einen nicaraguanischen Handlanger und in der Regel zwei Schweizer, die ihm zur Hand gingen. Ich hatte einen angefangenen Graben für die Fundamente weiter auszuheben, den Erdboben etwas abzutragen und einzuebnen und anschliessend festzustampfen. Dazu diente mir eine behelfsmässig zusammengezimmerte Stampfe, die aus einem schweren Rundholz mit einem festgenagelten Querarm am oberen Ende bestand. Diese Arbeit war sehr anstrengend. Ich erinnerte mich während dieser Tätigkeit oft an die mit einem Motor betriebenen Stampfgeräte, die von europäischen Baufirmen eingesetzt werden, wenn Gräben der Kanalisation, der Gas- und Wasserleitungen wieder zugeschüttet sind und abschliessend festgestampft werden. Mir schmerzten die Arme. Ich musste kurze Pausen einschalten.
Oft mussten die laufenden Bauarbeiten umdisponiert werden, weil das bestellte Baumaterial (Ziegel, Sand, Zement, Bauholz, Nägel usw.) nicht wie versprochen und geplant geliefert wurde. Trotzdem ging uns die Arbeit nie aus. Die verschiedenen Neubauten waren verschieden weit fortgeschritten. Wenn auf der einen oder anderen Baustellen wegen fehlenden Materials nicht weitergearbeitet werden konnten, halfen alle dort aus, wo noch Arbeiten ausgeführt werden konnten. Schliesslich mussten auch noch alte Holzhäuser abgerissen und für Neubauten Fundamentgräben ausgehoben, der Boden wieder eingeebnet und gestampft werden.
Um die eintönige und einseitige Nahrung aus Reis, Bohnen und Maistortillas ein wenig zu bereichern und damit die Gesundheit der einheimischen Landarbeiterfamilien zu verbessern, hatten die vorherigen Brigaden einen Gemüsegarten angelegt. Damit die frei laufenden Schweine und Hühner nicht über die Sprösslinge und den heranwachsenden Salat herfallen konnten, wurde er eingezäunt. Für gewisse Pflanzen war der Boden ungeeignet. Von Anfang an waren die Einheimischen eingeladen worden, an den Gartenarbeiten und der späteren Ernte teilzunehmen. Die Erwachsenen erwiesen sich aber in dieser Angelegenheit passiv, was nicht ohne weiteres bedeutete, dass sie kein Interesse hatten, sondern in erster Linie ein Zeitproblem war. Denn alle hatten entweder in der Kaffeeplantage viel und streng zu arbeiten, oder mit der Kinderbetreuung und dem eigenen Haushalt alle Hände voll zu tun. Und zweitens spürte man auch einen gewissen Widerstand in dem Sinn, als die meisten zuerst mal abwarten wollten, um zu sehen, welchen praktischen Nutzen dieser Garten für sie brachte. Und drittens war für sie nicht ohne weiteres einsichtig, warum ihre Ernährung auf diese Weise verbessert werden sollte. Warum nicht einfach mit mehr Lohn oder kostenloser Nahrungsmittelhilfe aus dem Ausland? Um die Einheimischen trotz dieser Widerstände Schritt für Schritt in die Aktivitäten des Gartenprojekts einzubinden, arbeiteten wir mit der Lehrerin und ihren Schülern und in den Schulferien direkt mit den Kindern zusammen. Denn Ziel dieses Teilprojekts war es, die Einheimischen mit dem Anbau und der Pflege des Gartens soweit vertraut zu machen, dass sie gewillt und in der Lage waren, ihn weiter zu führen. Bis es soweit war, musste den Bewohnern aber der Nutzen dieses Gartens erlebbar und einsichtig gemacht werden. Anfänglich arbeitete die Schuljugend jede Woche einige Stunden im Garten. Sie setzten, jäteten und sahen auch bald einige Blumen. Dann gab es die ersten Gewürzpflanzen: Zwiebeln, Knoblauch. Doch kamen auch Rückschläge. Die Tomaten gingen ein. Der Boden taugte nicht für sie. Andere Setzlinge wurden von Schädlingen vernichtet. Und schliesslich wurde es in den Schulferien immer schwieriger, Kinder für die Gartenarbeiten zu gewinnen. Denn es gab kaum etwas, das sie hätten nach Hause bringen können.
Nach einigen Tagen bei Reis, Bohnen, Mais-Tortillas und schwarzem Kaffee oder Wasser zum Frühstück, zum Mittag- und Abendessen wurde mein Bedürfnis, wieder mal Brot zu kauen, Spaghetti oder eine Bratwurst mit Senf zu geniessen, ständig stärker. Beim Essen war das Essen oft Thema. Ich und einige andere begannen zur Abwechslung, rote Pfefferschoten, die gleich vor dem comedor popular wuchsen, in den Reis und die Bohnen zu mischen. Natürlich kamen mir manchmal die Tränen von der Schärfe der Pfefferschoten. Aber wenigstens schmeckte das Essen anders.
Unsere Schlussberichte sind aufs ganze Projekt gesehen Zwischenberichte, ein ausführlicher auf Deutsch und ein technischer auf Französisch; beide Berichte in digitaler Form.
Kurz vor Ablauf der 6 Wochen bereitete ich auf Deutsch und Astrid auf Französisch unseren Zwischenbericht zum Projektstand vor. Astrid beleuchtete den technischen Aspekt, ich alles Übrige. Diese beiden Entwürfe wurden anschliessend von allen diskutiert und wo nötig modifiziert. Wichtig schien uns, dass die Zeitspanne einer Brigade von 6 Wochen zu kurz war. Die Rotation sollte zeitlich viel weiter auseinanderliegen – vielleicht drei Monate. Aus unserer Sicht und der Sicht der Projektleitung wäre dies für neue Projekte wünschbar gewesen, schloss natürlich sehr viele SympathisantInnen in der Schweiz aus, weil sie sich keine dreimonatige Auszeit im Beruf leisten konnten. Ein spezielles Ereignis in unserem Zwischenbericht befasste sich mit einer möglichen Lebensmittelvergiftung einiger BrigadistInnen. Nach dem Genuss einer seit Langem begehrten Abwechslung im Speiseplan, eines Salates, zeigten sich bei einigen seltsame Erscheinungen. Unsere Brigadistinnen, die eine medizinische Ausbildung hatten wie Astrid (Veterinärin), Maria und Käthi (Krankenschwestern), diagnostizierten aufgrund halluzinatorischer Wahrnehmungen und weiteren Symptomen eine Art Vergiftung durch verdorbene Lebensmittel – wie nach dem Genuss von Drogen. Die Symptome legten sich nach einigen Stunden wieder.
Im Anschluss an meinen Arbeitsaufenthalt mit der 3. Brigade in La Rondalle publizierte ich in der Lokalpresse über meine Erfahrung.
Ciao Martin, ich war auch ein Brigadist in La Rondalla und zwar im September 1985. Meine Erinnerungen sind bruchstückhaft und deshalb freute ich mich um so mehr, als ich zufälligerweise über deinen Eintrag gestopert bin.
Weisst du, ob es zum Projekt in La Rondalla noch weitere Berichte gibt?
Neben Geri, den du auf einer Foto erwähnt hast, gab es noch eine Heidi, die offensichtlich auch länger dort war. Weisst du zu ihnen etwas?
Bin gespannt
Gruss
Adriano
Hallo Adriano
Lange ist es her, auch meine Erinnerungen sind verblasst und sehr fragmentarisch. Ich erinnere mich auch fast an keine Namen mehr: Ausser an Geri erinnere ich mich noch an zwei Schwestern aus Basel (beide aus dem Gesundheitsbereich), eine hiess Käti, glaube ich, und eine Spanierin, die in der Romandie in einem Spital als Krankenschwester arbeitete, war Carmen und eine Veterinärin aus Genf war Astrid Rod. Ihren Namen weiss ich, weil sie unseren Brigadenbericht auf Französisch verfasst hatte. Aber vermutlich sagen dir diese Namen nicht viel, denn sie waren Mitglieder der 3. Brigade wie ich. Ausser Geri war noch ein Martin, der mehr als die Dauer einer Brigade in La Rondalla arbeitete. Er war schon in der 2. Brigade, dann mit uns in der dritten und ich glaube, er blieb auch in der 4. Brigade noch dabei. Dann war noch Silva Semadeni aus GR in einer späteren Brigade. Sie führte das Konto für Geldspenden in der Schweiz, womit das Folgeprojekt finanziert wurde. Aber ich habe keine Kontakte mit den erwähnten Personen. Eigentlich schade.
Über La Rondalla publizierte ich mal einen kleinen Artikel in der Lokalpresse (Freiburger Nachrichten vom 18. Okt. 1986, S. 15). Aber das war zur Zeit, als das Projekt noch am Laufen war. Sonst ist mir kein Bericht spezifisch zu La Rondalla bekannt. Es gab viele Berichte danach 1986, als Maurice Demierre in Nica und Jürg Weis 1988 in El Salvador erschossen wurden.
Und du? Hast du noch Kontakt zu ehemaligen BrigadistInnen?
Was Solidarität vermag, ist gegenwärtig im Zusammenhang mit den Flüchtlingen aus der Ukraine zu sehen. Sie werden – zumindest anfänglich – willkommen geheissen. Schade, dass das nicht zugunsten von allen Flüchtlingen so ist.
Hat mich gefreut, dass du nicht nur über meine Webseite gestolpert bist, sondern auch noch einen Kommentar hinterlassen hast.
Freundliche Grüsse
Martin