Praktikum in Kuba

Im Rah­men des Nach­di­plom­stu­di­ums an der ETH Zü­rich, das ich 1987 be­gon­nen hatte, war ein min­des­tens sechs­mo­na­ti­ges Prak­ti­kum 1988/89 in Ko­lum­bien vor­ge­se­hen. Doch weil die Si­cher­heits­si­tua­tion pre­kär wurde, be­schloss der Bund, kein neues Per­so­nal mehr in die Zone, in der mein Prak­ti­kum ge­plant war, zu sen­den. Des­halb musste ich mich umorganisieren. 

Blick auf das Ho­tel Na­cio­nal de Cuba in Ha­vanna, wo ich ei­nige Mo­nate wohnte.

Ich be­kam die Wahl zwi­schen Ni­ca­ra­gua und Kuba. Weil ich ei­nige Jahre zu­vor be­reits in Ni­ca­ra­gua war, wählte ich das für mich noch un­be­kannte Kuba.

Teilnehmer eines internationalen Kurses an der Uni von Havanna

Mei­nen ers­ten Teil des Prak­ti­kums sollte ich als Stu­dent an der Uni in Ha­vanna leis­ten, da­mit ich mich mit den lo­ka­len Be­din­gun­gen und der Spra­che ver­traut ma­chen konnte. Weil ich im Som­mer 1989 drei Mo­nate im Som­mer­sprach­kurs un­ter­rich­tete und die­ser erst in der ers­ten Ok­to­ber­hälfte zu Ende ging, konnte ich aber nicht auf Se­mes­ter­be­ginn in Ha­vanna sein. Mit den ku­ba­ni­schen Part­nern und mit der ETH Zü­rich, von der das Nach­di­plom­stu­dium für Ent­wick­lungs­zu­sam­men­ar­beit, NADEL, durch­ge­führt wurde, konnte ich ver­ein­ba­ren, dass ich trotz der 2‑wöchigen Ver­spä­tung noch am ge­plan­ten Kurs teil­neh­men konnte.

Am 14. Ok­to­ber 1989 flog ich von Zü­rich in ei­ner Tu­po­lev TU-154 nach Prag. Nach mehr­stün­di­gem Auf­ent­halt in der Tran­sit­zone des Flug­ha­fens in Prag ging es mit ei­ner Ily­us­hin IL-62 über den At­lan­tik nach Mont­real. Ich hatte Fens­ter­platz. Schon als ich die Lich­ter sah, dachte ich, wir seien in Ha­vanna. Ich wusste nicht, dass wir in Mont­real eine tech­nisch be­dingte Zwi­schen­lan­dung ma­chen mussten.

Ankunft

15. 10. 1989 – Nach ei­ner pro­gramm­ge­mäs­sen Reise am 15. Ok­to­ber 1989 kam ich in der Nacht auf Sonn­tag auf dem Aeropuerto In­ter­na­cio­nal José Martí (HAV) in Ha­vanna an, wo ich wie alle an­dern Rei­sen­den eine gute Stunde auf mein Ge­päck wartete.

Glück­li­cher­weise wurde ich von Dra Bea­triz Diaz mit dem uni­ver­si­tä­ren Klein­bus am Flug­ha­fen ab­ge­holt. Auch sie hatte von Mit­ter­nacht bis nach 1 Uhr auf mich ge­war­tet. Und wie mir spä­ter Kom­mi­li­to­nen er­zähl­ten, hatte lange nicht je­der das Pri­vi­leg, am Flug­ha­fen ab­ge­holt zu werden.

Weil der Stu­den­ten­cam­pus in Ma­chur­ru­cutu über­las­tet war, wurde un­ser Curso In­ter­na­cio­nal de Post­grado: Des­ar­rollo y Re­la­cio­nes In­ter­na­cio­na­les an der Uni im Zen­trum von La Ha­bana ab­ge­hal­ten. Mir wurde ein Zim­mer im Ho­tel Na­cio­nal de Cuba zu­ge­wie­sen. Hier wohn­ten noch mehr von un­se­rem Kurs. Ei­nige Aus­län­de­rin­nen und Aus­län­der wohn­ten aber doch in be­sag­tem Stu­den­ten­cam­pus in Ma­chur­ru­cutu. Diese ge­hör­ten al­ler­dings nicht zu un­se­rem Kurs der Flacso (Fa­cul­tad La­ti­no­ame­ri­cana de Ci­en­cias So­cia­les). Nach­dem ich mich an der Re­cep­tion des Ho­tels ein­ge­schrie­ben hatte, gab mir Dra Diaz nebst dem Stun­den­plan des Kur­ses, der ja schon vor zwei Wo­chen be­gon­nen hatte, noch die Na­men­liste all je­ner Kurs­teil­neh­men­den, die auch im Na­cio­nal wohn­ten. Beim Ver­ab­schie­den fragte sie mich, ob ich am Sonn­tag auch mit den an­dern an den Strand fah­ren möchte. Ich bejahte.

Vor dem Früh­stück sah ich mich im Ho­tel ein biss­chen um. Das Ho­tel Na­cio­nal de Cuba liegt di­rekt am Ma­lecón, also di­rekt an der ge­schwun­ge­nen Ufer­pro­me­nade ent­lang der Mee­res­bucht. Es gibt auch ho­tel­ei­gene Swim­ming­pools, ver­schie­dene Bars, ein Ca­ba­ret, ei­nen Coif­feur­sa­lon, eine Arzt­pra­xis, ei­nen Mas­sa­ge­sa­lon, Sauna, Gym­nas­tik­raum, eine Post­stelle mit Te­le­gramm-Dienst etc.

Zum Früh­stück be­grüsst den Gast ein tro­pi­sches Früh­stücks­buf­fet. Fan­tas­tisch. Ich setzte mich al­lein an ei­nen Tisch. Nach ei­ni­ger Zeit setz­ten sich zwei Da­men in meine Nähe, über die ich spe­ku­lierte, dass sie mög­li­cher­weise Kurs­teil­neh­me­rin­nen seien. Als sich wei­tere da­zu­ge­sell­ten, er­här­tete sich mein Ver­dacht, wor­auf ich fragte und sich meine Ver­mu­tung als rich­tig er­wies. Es war Zeit, sich für den Aus­flug an den Strand vor­zu­be­rei­ten. Ich ver­packte si­cher­heits­hal­ber noch ei­nige Wert­ge­gen­stände, brachte meine Bar­schaft in ei­nen Safe an der Ho­tel­re­cep­tion, dann ging un­sere Fahrt an die playa los.

Und so holte ich mir den ers­ten Son­nen­brand am ers­ten Tag mei­nes Le­bens in Cuba. Der Strand ist über­wäl­ti­gend. Un­sere Gruppe bes­ter Stimmung.

6.10.1989 — Ir­gend­wann er­in­nerte mich La Ha­bana an Wien. In vie­len Din­gen ist die Zeit ste­hen ge­blie­ben. Es ist, wie’s war. Die ko­lo­niale Ar­chi­tek­tur ei­ner ehe­ma­li­gen Me­tro­pole, die Old­ti­mer auf den Stras­sen: al­les wie im Mu­seum, nur nicht so ge­schleckt sau­ber, son­dern ab­brö­ckelnd, ge­flickt, laut und stin­kend. Und fast al­les Mu­seale wird drin­gend ge­braucht. Das Neue kann man sich of­fen­sicht­lich nicht leisten.

Zwar war ich bei mei­ner An­kunft nicht ge­schockt, ich hatte Schlim­me­res er­war­tet. In mei­nem Ge­päck je­den­falls fand ich eine ganze Reihe von Din­gen, die ich nicht hätte mit­neh­men müs­sen. Ich könnte viele Dinge auch hier ge­gen harte De­vi­sen kaufen.

Aber ich spürte doch ei­ni­ges, das mir fremd war in ei­ner Art, die ich in Zen­tral­ame­rika nicht an­ge­trof­fen hatte. So zum Bei­spiel sind mir bis jetzt noch keine Bett­ler auf­ge­fal­len, et­was das in El Sal­va­dor, Hon­du­ras, Gua­te­mala zum Stras­sen­bild ge­hört. Auch in Ni­ca­ra­gua war das Bild 1985 ähn­lich, aber be­reits zwei Jahre spä­ter wur­den die Bett­ler, die Ar­beits­lo­sen und die Kin­der mit­tel­lo­ser Fa­mi­lien im Stras­sen­bild wie­der be­merk­bar. Fremd ist mir auch eine ge­wisse Or­tho­do­xie oder Stur­heit im Ge­spräch mit den Cu­ba­nas und Cu­ba­nos, aber lang­sam ge­winne ich ein an­de­res Bild: Die le­ben wirk­lich ihre po­li­ti­schen Über­zeu­gun­gen, ge­ste­hen sich Schwä­chen und Irr­tü­mer ein — las­sen sich aber vom ein­ge­schla­ge­nen Weg nicht mehr ab­brin­gen — zu­min­dest nicht die äl­tere Ge­ne­ra­tion. Bis jetzt hatte ich kei­nen Kon­takt mit Cu­ba­nos un­ter 30.

Es dau­erte seine Zeit, bis ei­nem Schwei­zer auf­fällt, dass die Stras­sen im Ve­dado und in Mi­ra­mar ei­gent­lich fast so sau­ber sind wie bei uns zu Hause.

Auch in Alt-Ha­vanna sind die Stras­sen so sau­ber, man möchte mei­nen, dass je­den Mor­gen der Rei­ni­gungs­wa­gen wie in der Zür­cher Bahn­hofstrasse die Strasse fegt. Aber hier ist es Hand­ar­beit.

06.12.1989 — Kein be­son­de­rer Tag
Jetzt, wo ich das Da­tum ge­schrie­ben habe, er­in­nere ich mich daran, dass in der Schweiz heute St. Ni­ko­laus in die Häu­ser kommt — eine sehr selt­same Er­in­ne­rung bei dem tro­pi­schen Wet­ter, das in den letz­ten Ta­gen zwar auch nicht ge­rade heiss war, aber seit der Sturm sich ge­legt hatte, doch wie­der an­ge­nehm ist.

Und na­tür­lich dachte ich heute wie­der­holt an den Ge­burts­tag mei­nes En­gels. Wie dumm, dass ich im Brief, den ich letzte Wo­che ab­schickte und der ver­mut­lich just zum Ge­burts­tag in Ba­den ein­traf, mit kei­nem Wort den Ge­burts­tag er­wähnte. Ich dachte, das sei noch viel zu früh.

Ineffizient

Heute sass ich pünkt­lich um 14.00 Uhr im DES. Alle Pro­fes­so­rin­nen wa­ren dort, und wie mir schien, ha­ben sie es ei­lig, die tra­ba­jos fi­na­les zu le­sen und zu be­ur­tei­len. Ob­wohl der Kurs ei­gent­lich noch gute zwei Wo­chen dau­ern sollte. Aber sie ha­ben die Kurs­dauer kur­zer­hand ein­fach um eine Wo­che ge­kürzt — um zu ein paar Ta­gen Ur­laub zu kom­men, wie ich vermute. 

Also alle wa­ren dort. Ich frage nach Post für mich, und keine zehn Mi­nu­ten spä­ter legte ein Mann ein Bün­del Post auf den Tisch: dar­un­ter meine WoZ (vom 17. No­vem­ber) und ein Brief vom NADEL (Post­stem­pel vom 21.11.89). So setzte ich mich also, um die WoZ zu le­sen. Bea­triz hielt ihre Mit­tags­rast, d.h. sie ver­zehrte im in­ne­ren Büro ih­ren Lunch. Um 14.30 Uhr tru­del­ten Apa­re­cida und dann auch Ma­ria ein. Ma­rina hatte die gute Idee, eine Vi­deo-Auf­nahme mit ei­ner De­batte zwi­schen den bra­si­lia­ni­schen Prä­si­dent­schafts­kan­di­da­ten Lula und Col­lor für Apa­re­cida ab­zu­spie­len. Eine ele­gante Lö­sung, den Leu­ten das War­ten ver­ges­sen zu ma­chen. Ge­gen 15 Uhr setzte sich dann auch Bea­triz vor den Kas­ten. Aber als ich sah, dass sie keine An­stal­ten traf, die Be­spre­chung zu be­gin­nen, in­ter­ve­nierte ich. Ich fragte, wie das Pro­gramm des Nach­mit­tags aus­sehe. Apa­re­cida ver­stand schnel­ler als Bea­triz, dass ich nicht ge­kom­men war, um Lula zu se­hen. Man brach also die Vi­deo-Vor­stel­lung ab. Zu­erst wurde in 15 Mi­nu­ten die Ar­beit von Apa­re­cida be­han­delt, wo­bei es vor al­len Din­gen um eine Krank­heit (Herz­er­wei­te­rung) ging, de­ren Err­ger (ver­mut­lich ein Vi­rus) durch ein skor­pion­ar­ti­ges Tier auf Men­schen über­tra­gen wer­den kann, aber dann auch durch Blut­trans­fu­sio­nen. Da­nach wurde Ma­rias Ar­beit be­spro­chen, d.h. Bea­triz hat nur den hand­schrift­lich ge­schrie­be­nen Teil ge­le­sen. Hier ging’s um sprach­li­che Klei­nig­kei­ten (mo­dis­mos), auch um Ter­mi­ni­lo­gie­dif­fe­ren­zen. So etwa um 16.30 Uhr kam ich an die Reihe. Bea­triz las die in­tro­duc­ción und den An­fang des 2. Teils: La Rea­li­dad. Dann schlug sie vor, das Ganze zu Hause zu le­sen. Ich war da­mit ein­ver­stan­den, wo­mit ich also we­nigs­tens 2 Stun­den für die Katz hier ver­bracht hatte — es sei denn, man rechne an­dere po­si­tive Ef­fekte die­ser 2 Stun­den als “Leis­tung” an, näm­lich: die so­for­tige Aus­hän­di­gung der Post und die In­for­ma­tion von Ana­ma­ria, dass ich we­gen der re­si­den­cia aufs Büro der Re­la­cio­nes In­ter­na­cio­na­les ge­hen müsse.

So machte ich es dann auch, ohne zu wis­sen, was die ge­nau woll­ten. Ich fand das Büro so­fort. Dort fragte mich die Ver­ant­wort­li­che, was ich wün­sche. Ich er­klärte ihr, dass es sich um mein car­net estu­di­an­til handle, ich aber auch nicht ge­nau wisse, warum ich hier­her zi­tiert wor­den sei. Die Gute meinte, dass der ver­ant­wort­li­che com­pa­ñero im Mo­ment ge­rade nicht hier sei, sie schaute aber in ei­ni­gen Dos­siers nach, fand mei­nes und fragte mich, ob ich mei­nen Pass schon ab­ge­ge­ben hätte. Das hatte ich — schon mehr­mals — aber im DES, die den Pass hät­ten hier­her brin­gen müs­sen. Also: Ich solle mit mei­nem Pass wie­der kom­men, meinte die Frau. Das konnte ich noch vor Bü­ro­schluss er­le­di­gen. Als ich ge­gen 17 Uhr noch­mals auf­kreuzte, war das Büro be­la­gert von com­pa­ñe­ras y com­pa­ñe­ros, die plötz­lich alle an­we­send wa­ren, wie mir schien. Ich solle am Sams­tag wie­der kom­men, den gan­zen Tag sei je­mand dort, meinte die com­pa­ñera. Mal schauen. Ich rech­nete da­mit, dass ich am Sams­tag noch nicht im Be­sitz des Stu­den­ten­aus­wei­ses sein werde. 

Persönliches Schicksal

Als ich um 16 Uhr nach Hause ging, traf ich bei der li­bre­ria an der Ecke Rein­hard, den Stu­den­ten aus der DDR, der in Ha­vanna seine Dok­tor­ar­beit schrieb. Er un­ter­hielt sich mit ei­ner wei­te­ren Stu­den­tin aus der DDR. Sie stu­diert La­tein­ame­rika. Das ist in der DDR eine Uni­ver­si­täts­aus­bil­dung. Sie um­fasst al­les: von So­zio­lo­gie, Öko­no­mie, Spa­nisch, Por­tu­gie­sisch bis zu Geo­gra­fie, Kul­tur, Li­te­ra­tur usw.; aber al­les ziem­lich ober­fläch­lich. Sie heisst Peggy. Aber “be­ein­druckt” hat mich ei­gent­lich et­was An­de­res, näm­lich Rein­hards Lage. Er ist völ­lig frus­triert. Ist ja auch klar. Denn er rech­nete da­mit — ich er­in­nerte mich noch gut an un­se­ren ers­ten Aus­flug an den Strand von Va­ra­dero, als er mir ziem­lich be­geis­tert von sei­nen Zu­kunfts­aus­sich­ten er­zählte — er rech­nete also da­mit, eine Stelle in Ber­lin zu be­kom­men, zu hei­ra­ten und So­zia­lis­mus zu do­zie­ren. Dann als in Cuba die ers­ten Rei­se­er­leich­te­run­gen der DDR be­kannt wur­den, teilte er mir dies freu­dig mit. Wir plan­ten be­reits sei­nen Be­such in Zü­rich und Frei­burg. Aber heute sah er mut­los aus. Der Lauf der Dinge [Fall der Ber­li­ner Mauer] hat ihm das Was­ser ab­ge­gra­ben und es ist un­si­cher, ob seine Dok­tor­ar­beit über­haupt noch von In­ter­esse sein wird, von In­ter­esse kaum, er hat Glück, wenn sie als Fleiss­ar­beit an­er­kannt und so­zu­sa­gen pflicht­ge­mäss auch als Pro­mo­ti­ons­ar­beit ak­zep­tiert wird. Wer hat bei sol­chen Aus­sich­ten noch Lust wei­ter­zu­ar­bei­ten?! Ar­mer Rein­hard! Es sieht schlecht aus. Ich meinte, er könne doch ein paar Jahre in Cuba blei­ben, hier könn­ten sie Leh­rer wie ihn gut ge­brau­chen. Er lachte zwar über mei­nen Witz, aber klar, es war eben nur eine Ver­le­gen­heits­re­ak­tion mei­ner­seits. Was soll man ihm denn schon ra­ten? Ich kenne seine Dok­tor­ar­beit nicht und er­fasse auch nicht den Um­fang der Um­wäl­zun­gen in der DDR auf dem Hin­ter­grund der Ideo­lo­gie. Was hat sich ideo­lo­gisch ge­än­dert? Ich kann das nicht ab­schät­zen. In­wie­fern ist die Pe­re­stroika und Glas­nost eine so­zia­lis­ti­sche Of­fen­sive ge­gen den Ka­pi­ta­lis­mus? Oder um­ge­kehrt: In­wie­fern hat der Ka­pi­ta­lis­mus den So­zia­lis­mus schon so weit ge­bracht, dass er sich öff­nen muss, um zu überleben?

Von Ok­to­ber bis De­zem­ber be­suchte ich ei­nen Kurs über De­sa­rollo y Re­la­tio­nes In­ter­na­cio­na­les. Die­ser Kurs nahm mich sehr in An­spruch, so­dass we­nig Zeit üb­rig blieb, mein Gast­land nä­her an­zu­schauen. Nebst den ob­li­ga­to­risch zu be­su­chen­den Vor­le­sun­gen hatte je­der noch eine Se­mes­ter­ar­beit zu schrei­ben, was mich na­tür­lich ver­dammt viel Schweiss, Zeit, ron und an­dere Geis­ter kos­tete. Ich habe mich in die­ser Ar­beit mit dem Ideal und der Rea­li­tät der Schwei­zer De­mo­kra­tie be­fasst. Grund­lage war in ers­ter Li­nie Tschä­nis «Wer re­giert die Schweiz?» und «Wem ge­hört die Schweiz?». Aber eben, Tschäni schreibt auf Deutsch, ich hatte auf Spa­nisch zu schrei­ben. Übers Ganze ge­se­hen er­wies sich der ganze Kurs als kost­spie­li­ger Um­weg, den ich nicht mehr ge­hen würde. Da­mit man von be­sag­tem Kurs pro­fi­tie­ren kann, muss man zwei Vor­aus­set­zun­gen er­fül­len: Man muss zum ei­nen gut Spa­nisch spre­chen und ver­ste­hen, d.h. fä­hig sein, z.B. über Mit­tag ei­nen 20seitigen Es­say auf Spa­nisch zu le­sen und nach­her dar­über zu spre­chen, an Fach­dis­kus­sio­nen (nicht Kon­ver­sa­tion) ak­tiv teil­zu­neh­men, und zum an­de­ren muss man mit dem mar­xis­tisch-le­ni­nis­ti­schen Ge­dan­ken­gut schon ei­ni­ger­mas­sen ver­traut sein. Beide Vor­aus­set­zun­gen er­füllte ich nur un­voll­stän­dig. Aus­ser­dem ist Ku­ba­nisch nicht das­selbe wie Spanisch.

Cer­ti­fi­cado del Curso FLACSO

In die­sem Kurs gab man uns auch die Mög­lich­keit, per Ex­kur­sio­nen die Er­run­gen­schaf­ten der Re­vo­lu­tion aus nächs­ter Nähe ken­nen zu ler­nen. So be­such­ten wir Co­ope­ra­ti­ven, eine Zucht­an­stalt für Rind­vieh mit Sa­men­bank, eine Es­cuela Se­cun­da­ria auf dem Land, wo geis­tige und ma­nu­elle Ar­beit Hand in Hand ge­hen, eine psych­ia­tri­sche Kli­nik, eine Cen­tral Azu­ca­rera in Pi­nar del Rio, wir be­such­ten das na­tio­nale Büro der Po­der Po­pu­lar, die Bo­de­guita del Me­dio, eine Kneipe zum Es­sen in Alt­ha­vanna und noch ei­ni­ges dazu. Aber nach und nach stell­ten wir fest, dass wir fast aus­nahms­los Vor­zei­ge­pro­jekte vor­ge­zeigt be­ka­men. Denn die meis­ten die­ser Aus­flüge las­sen sich bei CUBATOUR, ei­nem staat­li­chen Tou­ris­mus­un­ter­neh­men, für ei­nige Dol­lars bu­chen. Diese Ent­de­ckung weckte bei ei­ni­gen von uns Miss­trauen, auch dass die ku­ba­ni­schen Pro­fes­so­rin­nen nicht wahr­ha­ben woll­ten, dass Aus­län­de­rIn­nen die Hand­ta­sche mit Ge­walt ge­stoh­len wurde. Letzte Wo­che wurde bei uns am hell­lich­ten Tag ein Velo aus dem Haus ge­stoh­len. Sol­chen Pro­ble­men ge­hen viele Cu­ba­nos nicht wirk­lich auf den Grund. Ent­we­der ver­schlies­sen sie ein­fach die Au­gen, weil es ih­rer Mei­nung nach nicht gibt, was es nicht ge­ben darf, oder sie er­klä­ren sol­che Vor­komm­nisse als ab­so­lute Aus­nah­men, die wei­ter nicht ernst zu neh­men seien, so­zu­sa­gen als Zu­fälle. Dass sol­che Dieb­stähle sehr wohl auch et­was zu tun ha­ben könn­ten mit den War­te­schlan­gen, den be­schränk­ten Frei­räu­men, den Tou­ris­ten und den Dol­lar­shops, wird zu we­nig dis­ku­tiert. Da­bei ist der Hun­ger nach Kon­sum doch ei­gent­lich sehr ver­ständ­lich. Dem müsste man er­zie­he­risch be­geg­nen. Aber das ist frei­lich leich­ter ge­sagt als getan.

Erster Abschied

Sams­tag, 16. De­zem­ber 1989 — Heute Mor­gen fan­den die letz­ten de­fen­sas del tra­bajo fi­nal statt, und zwar von Al­fredo (Ma­nage­ment), Mar­tin (De­mo­kra­tie der Schweiz), Car­los (in­for­mel­ler Sek­tor in Ni­ca­ra­gua) und Bo­li­var (Ent­wick­lung von Stadt und Land in Ni­ca­ra­gua). Na­tür­lich war ich ziem­lich ner­vös. Ich musste vie­les ab­le­sen. Die Trans­pa­rente wa­ren mir aber eine grosse Hilfe, um frei zu spre­chen. Es ging ziem­lich gut. El tri­bu­nal be­fand fi­nal­mente: apro­bado.

Sonn­tag, 17. De­zem­ber 1989 — Ges­tern Abend ver­ab­schie­de­ten wir uns in der guagua von Apa­re­cida (Bra­si­lien). Sie ver­sprach mir, in Vi­to­ria an­zu­ru­fen. Dann be­ga­ben wir uns ans so ge­nannte Ab­schieds­fest. Gu­i­selle hatte mich schon vor­her im Zim­mer auf­ge­sucht, um ers­tens mich so­zu­sa­gen für die Tänze zu re­ser­vie­ren und zwei­tens um Dol­lars zu kau­fen. Ihr An­ge­bot lau­tete 1:1, was mir über­haupt nicht ge­fiel. Schon frü­her hatte ich ihr ge­sagt, ich tau­sche 2:1, aber nur wenn es un­be­dingt nö­tig sei.

Das Fest ge­fiel mir gut, ei­gent­lich so­gar bes­ser als das Mit­tel­fest. Mer­ce­des war et­was do­mi­nant, als es darum ging, un­se­ren Mu­si­kan­ten zu­zu­hö­ren. Sie hörte Björn (Nor­we­gen) und Fi­del zu. Nach­her wollte sie wie­der tan­zen. Des­halb spielte Sr. Her­nan­dez nicht mehr auf sei­ner Gi­tarre. Schade. Etwa um 23.30 Uhr wurde das Fest ab­ge­bro­chen. Ich hatte ei­nige Cuba libre ge­trun­ken. Aber sie wa­ren sehr schwach. Im Bus tauschte ich noch die Adresse mit Fi­del und Ga­briel Hernandez.

Dann ging ich mit ei­ni­gen noch aufs Zim­mer von Ga­briela (Ar­gen­ti­nien). Gil­berto (Bra­si­lien) war da­bei, Con­chita und Gu­i­selle (Costa Rica). Ga­briela gab mir ihre Adresse, ich ihr die meine. Con­chita fragte mich um die meine. Ich glaube nicht, dass ich ihre Adresse wie­der brau­che. Sie gab sie mir. Gil­berto fliegt auch am Mon­tag und auch mit Cu­bana Avia­ción, aber erst um 16.00 Uhr, ich um 15.00 Uhr. Warum diese Zeit­dif­fe­renz? Dann ver­ab­schie­dete ich mich von Ga­briela. Sie flog am fol­gen­den Mor­gen um 8 Uhr oder so ähn­lich, hatte je­den­falls das Ho­tel um 06 Uhr zu ver­las­sen. Gil­berto wird üb­ri­gens nicht von un­se­rer guagua ab­ge­holt. Am Fest habe ich auch noch mit Ana Ma­ria (Cuba) über mei­nen Trans­port ge­spro­chen. Sie hat mir ge­sagt, dass sie sich darum küm­mern werde. Ich solle mich drei­ein­halb Stun­den vor Ab­flug im Ho­tel be­reit hal­ten. Das wäre also um 11.30 Uhr. Ich habe schon Rei­se­fie­ber und freue mich rie­sig auf Leida und die Mut­ter und die ganze Fa­mi­lie in Brasilien.

Aufbruch

Mon­tag, 18. De­zem­ber 1989 — Heute ist al­les ziem­lich gut ver­lau­fen. Mor­gens weckte mich Gu­i­selle, sie wollte sich ver­ab­schie­den und wollte nicht war­ten, um mit mir und Bo­li­var (Ni­ca­ra­gua) zu früh­stü­cken, weil sie Pläne hatte. Ich duschte, ra­sierte mich und dann kam sie. Ich gab ihr die zehn Dol­lars, aber zu mei­nem Kurs. Kurz dar­auf er­schien Ines (Bra­si­lien). Sie gab mir ihre Adresse, ich ihr die meine. Dann ver­ab­schie­dete ich mich von ihr und von Gu­i­selle. Ich rief Ga­bri­ella (Schwei­ze­rin) an. Wir woll­ten zu­sam­men früh­stü­cken. Bo­li­var war of­fen­bar nicht im Zim­mer. Je­den­falls nahm er das Te­le­fon nicht ab. Aber als ich mich an­schickte, das Zim­mer zu ver­las­sen, er­schien er. Ich er­klärte ihm, dass ich ihn ge­sucht hatte. Er nahm das Pa­ket für Dona Au­xi­lia­dora Pa­la­cios (die Scho­ko­lade, die mir Ga­bri­ella ge­schenkt hatte) und be­glei­tete mich zum Früh­stück. (Dona Au­xi­lia­dora Pa­la­cios war 1987 meine Gast­mut­ter in Managua/Nicaragua.) Nach ei­ni­ger Zeit tra­fen Ga­bri­ella und ihr Freund René ein. Bo­li­var ver­ab­schie­dete sich von mir (Ich hatte ihm ei­nen Brief für das EAWAG ge­schrie­ben). Spä­ter tra­fen Chris­tian (ein Schwei­zer) und Ja­vier (ein Ni­ca­ra­gua­ner) ein. Ich ver­ab­schie­dete mich von ih­nen und auch von Ma­ria Her­nan­dez (Ve­ne­zuela) und ih­rer Familie. 

Dann be­glei­tete ich René zur Cu­bana Avia­ción, Ga­bri­ella ging zum DES. Bei der Cu­bana Avia­ción hatte ich mei­nen Rück­flug von Bra­si­lien wie­der nach Cuba zu er­le­di­gen. Es stellte sich nun her­aus, dass ich via São Paulo nach Lima fliege, was lei­der auch mit ei­nem Zu­schlag von US-$ 32.00 zu­sam­men­hing. Mein Flug von Rio nach Vi­tória war nach wie vor nicht be­stä­tigt. Mal se­hen, ob ich in Pa­nama was er­le­di­gen kann. 

Transfer

Kaum war ich wie­der im Zim­mer, klin­gelte das Te­le­fon. Pünkt­lich um 11.30 Uhr war also mein cho­fer im Ho­tel. Ich te­le­fo­nierte schleu­nigst René, gab ihm meine Schlüs­sel und ver­ab­schie­dete mich von ihm. Ga­bri­ella war lei­der noch nicht zu­rück. Als ich mit Sack und Pack mein Zim­mer ver­liess und auf den Lift war­tete, fragte mich meine ca­ma­rera, ob ich gehe. Ich konnte ja be­la­den mit so viel Ge­päck nicht gut nein sa­gen. In der Lobby emp­fing mich schon ein Ho­tel­boy mit ei­nem Wä­gel­chen, lud mei­nen Kof­fer auf und schubste sein Ge­fährt stracks zur caja, wo er sich ir­gend­ei­nen Schein holte. Dann ging ich los zu mei­nem “Pri­vat­taxi” vom DES. Auf dem Weg zum Flug­ha­fen ge­wahrte ich meh­rere Um­lei­tun­gen, weil die Stras­sen neu ge­macht bzw. weil Rohre ver­legt wur­den. Als ich am Flug­ha­fen José Martí an­kam, durfte ich nicht ein­tre­ten, weil der Bo­den feucht auf­ge­nom­men wurde. Aber schon nach etwa 20 Mi­nu­ten be­tra­ten an­dere Tou­ris­ten das Ge­bäude. Ich stieg ih­nen dann nach. Es stellte sich her­aus, dass es sich um eine Rei­se­gruppe aus Deutsch­land han­delte. Ihr Flug hätte ges­tern am frü­hen Abend star­ten sol­len. Aber er wurde von Stunde zu Stunde ver­scho­ben und letzt­lich musste sich die Flug­ge­sell­schaft um Ho­tel­zim­mer für die Pas­sa­giere be­mü­hen. Sie ver­lies­sen nachts um 2 Uhr das Flug­ha­fen­ge­lände und war­te­ten nun er­neut auf ei­nen Flug, von dem sie nicht wuss­ten, ob er heute um 16 Uhr oder um 18 Uhr ab­ge­hen werde. Ihr Ge­päck ist seit ges­tern eingecheckt.

Et­was spä­ter traf ich dann Gil­berto (Bra­si­lien) mit Frau, die ich erst heute ken­nen lernte. Er hatte sie den Teil­neh­me­rIn­nen des Flacso-Kur­ses nie vor­ge­stellt. Bis Rio reis­ten wir zu­sam­men. Un­ser Flug star­tete erst um 16 Uhr.

US-Invasion in Panama

Wir muss­ten in Pa­nama-City auf ei­nen An­schluss­flug war­ten. Doch die­ser Flug wurde von Stunde zu Stunde ver­scho­ben. Gründe wur­den nicht mit­ge­teilt. Erst Tage spä­ter ent­nahm ich der Presse und dem TV, dass in Pa­nama Flüge in­folge der In­va­sion von US-Trup­pen (cf. Spie­gel on­line dazu), die glei­chen­tags statt­ge­fun­den hatte, am Bo­den war­ten muss­ten. Den USA ging es bei die­ser In­va­sion darum, den Macht­ha­ber Da­niel No­riega in Pa­nama zu ent­fer­nen, den sie/die CIA jah­re­lang auf­ge­baut und un­ter­stützt hatte, um u.a. Geld- und Waf­fen­lie­fe­run­gen an die Con­tras ge­gen die San­di­nis­tas zu ver­tu­schen (cf. Wi­ki­pe­dia US-In­va­sion in Pa­nama)

Weiterbildner an der Uni von Havanna

Zum Prak­ti­kums­auf­trag ge­hörte für alle NA­DEL-Teil­neh­men­den die theo­re­ti­sche Vor­be­rei­tung auf den Prak­ti­kums­ein­satz in Form ei­ner schrift­li­chen Do­ku­men­ta­tion. Diese Do­ku­men­ta­tion stellte ich im Früh­jahr 1989 zu­sam­men und legte sie dem NADEL vor.

Vorbereitung

In der Ein­lei­tung heisst es: «Die vor­lie­gende Ar­beit dient der per­sön­li­chen Vor­be­rei­tung auf ei­nen Prak­ti­kums­ein­satz in Kuba, wie es das NA­DEL-Re­gle­ment er­for­dert. Da­bei muss ei­nes klar sein: Diese Ar­beit ist zwar ab­ge­schlos­sen — die Vor­be­rei­tun­gen sind es da­ge­gen nicht. In die­sem Sinn stellt dies ei­nen Zwi­schen­halt dar auf dem Weg, der bis zum Prak­ti­kum weitergeht.»

Meine Ar­beit an der ETHZ zur Vor­be­rei­tung mei­nes Prak­ti­kums in Kuba

Über den zwei­ten Teil mei­nes Prak­ti­kumein­sat­zes war ich nur vage in­for­miert. In mei­ner Ein­lei­tung hiess es: «Frau Ade­lita Baeza, Kon­takt­per­son in der Schweiz, schreibt in ih­rem Be­richt am 19.1. [1988] zum Prak­ti­kums­ein­satz: ‘In Ha­vanna wer­den zur Zeit drei Bar­rios sa­niert. Diese Ar­beit wird von der Gruppe der in­te­gra­len Ent­wick­lung der Haupt­stadt (Grupo de Des­ar­rollo In­te­gral de la Ca­pi­tal) ge­lei­tet. Sie soll ein Mo­dell für wei­tere Sa­nie­rungs­mass­nah­men in der Haupt­stadt und in den Pro­vin­zen sein.
Der Ar­beits­platz ist im Bar­rio La Güira. Eine slum­ar­tige Sied­lung aus­ser­halb des Zen­trums von La Ha­bana. In die­sem Bar­rio — wie in den zwei an­de­ren — hat sich ein Tal­ler de Trans­for­macion in­te­gral ge­bil­det. Die­ser be­steht aus ei­nem in­ter­dis­zi­pli­nä­ren Team. Alle woh­nen in dem Bar­rio: ein/e Archtekt/in, So­zi­al­ar­bei­ter, Päd­agoge, Eth­no­loge, Li­der des Bar­rios etc. Diese Gruppe be­schäf­tigt sich mit der in­te­gra­len Trans­for­ma­tion des Bar­rios. Bei der Sa­nie­rung müs­sen ver­schie­dene Aspekte be­rück­sich­tigt wer­den: so­ziale und kul­tu­relle Fak­to­ren, Le­bens­art, Ge­wohn­hei­ten usw.
Der Bau der Woh­nun­gen wird durch die so­ge­nann­ten Mi­cro­bri­ga­das als Selbst­bau ge­macht. Dies ist eine sehr in­ter­es­sante Er­fah­rung. Die Art und Weise, wie der Selbst­bau fi­nan­ziert und or­ga­ni­siert ist, ist min­des­tens in La­tein­ame­rika ein­ma­lig, so­viel ich weiss.’
Zu mei­ner spe­zi­el­len Vor­be­rei­tung schreibt Frau Baeza im er­wähn­ten Be­richt: ‘Der Stu­dent von NADEL wird Mit­glied des Tal­ler de Trans­for­mación In­te­gral, und wird sich haupt­säch­lich mit Ani­ma­tion und Or­ga­ni­sa­tion von Ak­ti­vi­tä­ten be­schäf­ti­gen: Ani­ma­tion von Grup­pen, Grup­pen­dy­na­mik etc. auf der Ba­sis von Edu­ca­ción Po­pu­lar. (…) Té­c­ni­cas par­ti­ci­pa­tivas para la Edu­ca­ción Po­pu­lar1. Die­ses Buch ist für diese Art von Ar­beit in La­tein­ame­rika sehr emp­feh­lens­wert. (…) Als Vor­be­rei­tung ha­ben sie die An­schaf­fung von Li­te­ra­tur und Kennt­nis­sen über an­ge­passte Tech­no­lo­gie über In­stal­la­tion, WC, Ver­wen­dung von Ab­was­ser, öko­lo­gi­sche Mass­nah­men etc. emp­foh­len.’ Zu die­sem Zweck be­suchte ich die EAWAG in Dü­ben­dorf, wo mich Herr Mar­tin Strauss be­riet und mich mit ein­schlä­gi­ger Li­te­ra­tur be­kannt machte.

Mein Kurs an der Universidad de La Habana

Ich hatte wö­chent­lich 1 Dop­pel­stunde Un­ter­richt zu er­tei­len. Die Kurs­teil­neh­men­den mei­nes Kur­ses wa­ren Lehr­per­so­nen aus der Re­gion Metropolitana.

Mein Kurs­skript

Die Vor­be­rei­tun­gen, die ich für jede Dop­pel­lek­tion nie­der­schrieb, stellte ich auf Wunsch der Teil­neh­men­den zu ei­nem Skript zu­sam­men, das ich in der Schweiz in 30 Ex­em­pla­ren fo­to­ko­pierte und dem DES zustellte.

Weitere Erfahrungen

5. Fe­bruar 1990 — Briefe sind wie eine er­fri­schende Du­sche an ei­nem heis­sen Abend in ei­nem tro­pi­schen Land: Sie er­fri­schen, stär­ken, sind Mo­ti­va­tion und ver­lei­hen so­zu­sa­gen das Ge­fühl, man sei frisch ge­bo­ren. Denn mit den Brie­fen ist auch wie­der ein Stück je­ner Iden­ti­tät zu­rück­ge­kom­men, die man vor ei­ni­ger Zeit in der Hei­mat zu­rück­ge­las­sen hat.
Da ich im Mo­ment mit Nach­rich­ten über das Welt­ge­sche­hen nicht ge­rade über­häuft werde, schei­nen mir die Kon­ti­nente weit aus­ein­an­der zu lie­gen, schei­nen ver­schie­dene Wel­ten zu sein. Briefe ha­ben in die­ser Si­tua­tion die Wir­kung, dass die Welt wie­der en­ger zu­sam­men­rückt, die Er­eig­nisse in den ver­schie­de­nen Welt­ge­gen­den rü­cken nä­her und die Briefe mei­ner Freunde sind Zei­chen da­für, dass auch ich ir­gend­wie mit al­lem Ge­sche­hen ver­bun­den bin.
Wenn mir das Ge­fühl der Ver­bun­den­heit teils ab­han­den ge­kom­men ist, liegt das an drei­er­lei: Zu­nächst spielt die ma­te­ri­ell-tech­ni­sche Schranke eine Rolle. Denn ich habe kein Ra­dio, und die bei­den haus­ei­ge­nen TV-Ap­pa­rate sind nicht funk­ti­ons­tüch­tig. Bleibt also das per­sön­li­che Ge­spräch auf der Strasse oder zu Hause und die Nach­rich­ten aus den Zei­tun­gen. Hier be­schrän­ken aber meine Spa­nisch­kennt­nisse die Ver­stän­di­gung in er­heb­li­chem Masse. Und der dritte Fak­tor ist der ideo­lo­gisch-po­li­ti­sche Fil­ter, dem die Zei­tun­gen hier un­ter­wor­fen sind. Ir­gend­wie ist die­ser Fil­ter auch ver­ständ­lich. In In­dus­trie­na­tio­nen des Wes­tens wird man mit In­for­ma­tio­nen über­schwemmt. Ob der rei­chen In­for­ma­ti­ons­flut über­sieht es sich viel leich­ter, wor­über nicht be­rich­tet wird. Ab­len­kungs­ma­nö­ver fal­len gar nicht auf und wir­ken dank ih­rer Sub­ti­li­tät umso mehr. In Kuba ist die In­for­ma­ti­ons­stra­te­gie wohl um­ge­kehrt. Prak­tisch alle Nach­rich­ten er­schei­nen nur dann in den Me­dien, wenn sie für Kuba re­le­vant sind, und selbst­ver­ständ­lich über­neh­men die Me­dien auch die Auf­gabe, für den Le­ser den Zu­sam­men­hang der Er­eig­nisse mit Kuba her­zu­stel­len. Was re­le­vant ist und was nicht, be­stim­men — wie bei uns im Wes­ten auch — die Re­dak­tio­nen, hin­ter de­nen aber nicht die Au­gen der Wirt­schafts­ka­pi­täne mit­le­sen und zen­su­rie­ren wie bei uns son­dern ver­mut­lich die der Par­tei. In der Tat: Pro­bleme, an de­nen sich öf­fent­li­che Dis­kus­sio­nen ent­zün­den könn­ten, gibt es in Kuba zu­hauf. Kaum in Frage ge­stellt wer­den die Er­run­gen­schaf­ten der Re­vo­lu­tion. Viel zu re­den und zu über­le­gen ge­ben die Ent­wick­lun­gen, die im Mo­ment im Ost­block ab­lau­fen. Das sind nicht bloss und ver­mut­lich nicht ein­mal in ers­ter Li­nie Sor­gen ideo­lo­gi­scher son­dern wirt­schaft­li­cher Na­tur. Denn wenn die Wirt­schaft in Ge­fahr ist, ist auch der So­zia­lis­mus ge­fähr­det. Seit dem An­fang der Re­vo­lu­tion kämpft das ku­ba­ni­sche Volk nicht bloss ge­gen den Im­pe­ria­lis­mus, son­dern wie alle Län­der des Tri­konts auch noch ge­gen die Rück­stän­dig­keit. In den ver­gan­ge­nen 30 Jah­ren hat Kuba doch An­lass zu Hoff­nung ge­ge­ben. Aber Kuba ist auf wirt­schaft­li­che Zu­sam­men­ar­beit mit dem Ost­block drin­gend an­ge­wie­sen. Denn seit Jah­ren strengt sich diese In­sel an, im Rah­men des Ost­blocks auf eine neue Welt­wirt­schafts­ord­nung hin­zu­ar­bei­ten. Und nun dro­hen die le­bens­wich­ti­gen Ost­block­märkte ver­lo­ren zu ge­hen. Es geht aber nicht nur um den Ab­satz ku­ba­ni­scher Ex­porte, es geht auch um die Be­schaf­fung drin­gend be­nö­tig­ter Er­satz­teile, le­bens­wich­ti­ger Roh­stoffe aus dem Aus­land zu ei­nem fai­ren Preis. In dem Mass, wie diese wirt­schaft­li­che Zu­sam­men­ar­beit mit dem Os­ten ver­un­mög­licht wird, fin­det die an­hal­tende US-Han­dels­blo­ckade ge­gen Kuba wie­der Halt. An­läss­lich ei­nes Ge­werk­schafts­kon­gres­ses sprach Fi­del Cas­tro von die­ser un­si­che­ren Zu­kunft. Er ent­warf ver­schie­dene, schlimme und sehr schlimme Sze­na­rien, die alle dar­auf hin­aus­lau­fen, dass Kuba von der üb­ri­gen Welt iso­liert wird, dass der Os­ten sein ka­ri­bi­sches Bru­der­land al­lein im Re­gen ste­hen las­sen kann. Das ist just der Hin­ter­grund, auf dem die US-Ag­gres­sion, die wie­der zu­ge­nom­men hat, zu le­sen ist. Im Spät­herbst fie­len Schüsse, aus­ge­hend von der US-Mi­li­tär­ba­sis Gu­an­tá­namo, die haar­scharf an ku­ba­ni­schen Wacht­pos­ten vor­bei­pfif­fen. In we­ni­gen Wo­chen soll die US-ame­ri­ka­ni­sche Fern­seh­sta­tion José Martí ihre Sen­dun­gen nach Kuba aus­strah­len — dies eine Ver­let­zung des gel­ten­den Völ­ker­rechts. Vor we­ni­gen Ta­gen wurde ein ku­ba­ni­sches Fracht­schiff von der US-ame­ri­ka­ni­schen Küs­ten­wa­che in in­ter­na­tio­na­lem Ge­wäs­ser un­ter Be­schuss ge­nom­men, weil sich die ku­ba­ni­sche Be­sat­zung wei­gerte, den US-Be­am­ten Zu­tritt zum Frach­ter zu ver­schaf­fen. Als Vor­wand diente den US-Be­am­ten die Dro­gen­fahn­dung. Es ge­lang den Cu­ba­nos, ih­ren Frach­ter schliess­lich in me­xi­ka­ni­sches Ho­heits­ge­biet zu brin­gen. Das al­les sind “Mü­cken­sti­che”, auf die aber die Ku­ba­ner sehr em­pf­lind­lich re­agie­ren. Ge­rade das letzte Er­eig­nis löste in der Haupt­stadt und in der na­tio­na­len Presse eine Welle der Ent­rüs­tung aus. Es gab eine Kund­ge­bung in der Nähe der US-Bot­schaft mit tau­sen­den von Teil­neh­men­den. Wie­weit die Teil­nahme po­li­ti­scher Über­zeu­gung je­des Ein­zel­nen ent­sprang und wie­weit sich Mit­läu­fer auf­grund der ge­wiss er­heb­li­chen so­zia­len Kon­trolle mo­bi­li­sie­ren lies­sen, bleibe da­hin­ge­stellt. Je­den­falls wirkt der Staat sehr sen­si­bel. Und mit dem Staat als Gan­zem schei­nen sich die Ku­ba­ner in ei­ner über­wie­gen­den Mehr­heit noch lange zu iden­ti­fi­zie­ren, auch wenn sie ein­zelne Un­zu­läng­lich­kei­ten nicht mehr lange hin­zu­neh­men be­reit sind.

Aval – Be­ur­tei­lung mei­nes Praktikumseinsatzes

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